Film – „Cold War – Breitengrad der Liebe“ – bester Film des „31. Europäischen Filmpreises“

Filmkritik von "Cold War" präsentiert schabel-kultur-blog.de

Es ist Winter in den polnischen Weiten. Den Menschen ist im Zweiten Weltkrieg nichts geblieben. Sie sind bitterarm. Wiktor, ein junger Komponist sucht musikalische Talente, um eine masurische Volkstanzgruppe mit Sängern aufzubauen. Zula wird der Star der Truppe und die Liebe seines Lebens. Als in den Jahren des Kalten Kriegs die kommunistische Indoktrination selbst die Volkskunst zu manipulieren beginnt, setzt sich Wiktor bei einem Gastspiel in Berlin in den Westen ab und  wird in Paris Jazzpianist. Zula bleibt in Polen. Sie begegnen sich immer wieder. Wie Magnete zieht es sie zueinander, doch die Kluft der gesellschaftlichen Systeme ist zu groß, zu manipulativ, zu  menschenverachtend. Sie werden zerrieben zwischen den Fronten des Kalten Krieges, aber auch durch die eigenen Unzulänglichkeiten.

Filmkritik von "Cold War" präsentiert schabel-kultur-blog.de

©Neue Visionen Verleih

Paweł Pawlikowski macht aus der Geschichte wie schon bei seinem Oskar prämierten  Film „Ida“ ein cinematisches Meisterstück, honoriert beim Filmfestival Cannes 2018 für die Beste Regie. Paweł Pawlikowski beherrscht die Kunst lakonischen Erzählens, die expressive Reduktion auf das Wesentliche, die Sprache auf der Metaebene der Blicke, die Metaphorisierung der Sprache und Liedtexte, zuweilen unterlegt mit subtiler Ironie.

Die Schwarz-Weiß-Sequenzen  mit Ort und Zeit übertitelt wirken wie Dokumentationen, schaffen Distanz. Kaum entwickelt sich aus den Blicken die Intimität der Leidenschaft, wird gemeinsame Zukunft anvisiert, brechen die Szenen abrupt im monochromen Graubild ab, Symbol für den Eisernen Vorhang des Kalten Krieges und der Grenzen psychischer Individualität.

Die Kamera (Łukasz Żal) fokussiert  auf die menschliche Atmosphäre der beiden Protagonisten und entwickelt deren Höhen und Tiefen aus dem Spannungsfeld von Blick und Gegenbild. Über die Blickachsen schafft die Kamera Nähe von der Bühne bis weit ins Publikum. In der Nähe enthüllt sie die Facetten zwischen Leidenschaft und Distanz, hervorragend authentisch von Johanna Kulig und Thomasz Kot gespielt, berührend im Glück, noch berührender im Elend. Wenn Zula immer wieder singt „Mütterlein hat mir verboten, den Jungen zu lieben“, erreicht die alte Volksweise  die Menschen in Ost und West. Doch auch im Osten verdrängen globale Pophits die seelische Tiefe der alten Lieder.  Zula ertränkt ihre wunde Seele im Alkohol, Wiktor wird sie im Arbeitslager ausgebrannt. Noch einmal ist ihnen ein Wiedersehen gegönnt. Doch ihre Blicke sind leer. „Lass uns auf die andere Seite gehen, da haben wir eine bessere Aussicht“, ist Zulas letzter Satz, mit dem dieser Film den Besucher betroffen zurücklässt. Selten wirkt ein Film so authentisch.

Michaela Schabel