©Christian Schulz, Schramm Film
Felix, mit multikulturellen Wurzeln, will eine Fotoarbeit für die Akademie der Künste machen. Nadja ist nicht Eisverkäuferin, sondern Literaturwissenschaftlerin, ihr Freund Devid Rettungsschwimmer und Bademeister. Es passiert nicht viel in dieser modernen tschechowschen Ferienhaus-Sommeridylle, in den ersten 20 Minuten rein gar nichts und doch entwickelt Christian Petzold mit seinen Schauspielern gekonnt ein gesellschaftliches Porträt, wie junge Erwachsene mit Liebe, Umwelt, den Aufgaben, die sie gewählt haben, umgehen und formt daraus eine Metapher, wie sich die deutsche Romantik verändert.
Aus der Perspektive Leons wirkt der Alltag nur nervig. Nadjas Musik „In my mind / love´s gonna make us, gonna make us blind“ und ihr Liebesgestöhn mit Devid nebenan, die Mücken draußen, das Essen. Er braucht Ruhe, weil er unbedingt seinen Roman fertig schreiben will. „Ist das Arbeit?“, fragt Felix, der sich lieber um die Reparaturen im Haus und am Auto kümmert und sich in Devid verliebt, was Nadja ganz unkompliziert hinnimmt. Queerness und flotter Partnerwechsel gehören zum Alltag. Die romantische Liebesvorstellung von einst hat sich sehr verändert, nicht das Gespür für romantische Naturkulissen. Selbst der rote Horizont infolge der Waldbrände strahlt mehr romantische Magie als Gefahr aus. Noch ist der Waldbrand zu weit weg, um als reale Gefahr erlebt zu werden. Alle sind mit sich selbst beschäftigt. Dass Leons Roman „Bullshit“ ist, wie Nadja es lakonisch formuliert, bestätigt Leons Lektor, der kurz vorbeischaut. „Wie kann einer, der am Leben nicht teilnimmt, überhaupt etwas schreiben?“ Bei einem gemeinsamen Abendessen, Nadja zitiert ein Gedicht von Heinrich Heine, wird der Bogen zu Petzolds anvisierter Trilogie zur deutschen Romantik noch deutlicher. Nach „Undine“, entlang dem Mythos der Wassernixe eine Suche nach Liebe in der Großstadt, fokussiert Petzold in „Roter Himmel“ auf den Wandel der Romantik in der Natur. Während der Blick auf das Meer an Naturromantik à la Caspar David Friedrich denken lässt, rückt mit Heinrich Heines hochromantischem Gedicht zumindest für literaturbewanderte Zuschauer bereits dessen Abkehr von der Romantik ins Bewusstsein. Was Heinrich Heine später sprachlich durch die romantische Ironie entzauberte, wird in Petzolds Film durch die Waldbrände bittere Wirklichkeit. Devid und Felix fahren in ihrem jugendlichen Leichtsinn direkt in ihr Unglück. Nadja muss den Lektor wegen einer Schmerzattacke mit seinem Elektro- Smart in die Klinik fahren. Leon folgt zu Fuß, findet den Weg aus dem Feuer in Richtung der fliehenden Wildschweine, ein brennender Frischling mittendrin, die beeindruckendste Sequenz des Films. Devid und Felix Hand in Hand auf der Totenbahre denkt Leon an die archäologischen Funde in Pompeji nach dem Ausbruch des Vesuvs. Jetzt hat er einen Stoff aus dem Leben zum Schreiben. Die Waldromantik Caspar David Friedrichs ist zerstört, die Romantik der Liebe bleibt.
Dass trotz aller Tragik das rosarote Happyend nicht banal und kitschig wirkt, sich trotz fehlender Handlungs- und Dialogdramatik zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen, ist der Ausstrahlung der Schauspieler zu verdanken. Unter Petzolds Regie gewinnen die Figuren durch die Sprache der Augen und die Körperlichkeit der Bewegung eine starke Authentizität.
Aber erst wenn man den Film auf dieser epochal literarischen Meta-Ebene und im Rahmen von Petzolds Romantik-Trilogie rezipiert, wird die Ehrung durch einen Silbernen Bären auf der Berlinale nachvollziehbar.
Künstlerisches Team: Christian Petzold (Drehbuch, Regie), Hans Fromm (Chef-Kameramann), Dominik Schleier, Adrian Baumeister, Lars Ginzel (Sound Design), Katharina Ost (Kostüme)
Besetzung: Leon (Thomas Schubert), Nadja (Paula Beer), Langston Uibel (Felix), Devid (Bademeister Enno Tres), Lektor (Matthias Brandt)