Landshut – Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo“ am Landestheater Niederbayern – eine verblüffend fröhliche Inszenierung

Opernkrtik "Rinaldo" im Landestheater Niederbayern präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

Kobie van Rensburg teilt die Bühne horizontal, oben ein Livevideo, das die SängerInnen mit modernster Bluescreen-Technik in einen animierten Film katapultiert, darunter das Bühnengeschehen in minimalistischer Reduktion nur mit einigen Podesten, die von zwei Statistinnen in grauen Vollkörperbodies in der Optik von steinernen Animationsfiguren hin- und hergeschoben werden, damit die SängerInnen sich adäquat zu den Filmkulissen fliegend, schwebend, reitend, schwimmend, strudelnd bewegen können. Das könnte sehr schnell nervig werden, zumal das Lesen des Librettos in der Übertitelung den Blick ständig zum Video lenkt, aber Kobie van Rensburgs Trick ist es, dass er nur ein Motiv für eine Arie wählt und die Animation passgenau dem Drive der Musik folgt, wodurch die langen Koloraturarien mit ihren zahlreichen Wiederholungsstrukturen kombiniert mit der Bildmagie der Animationen die orgiastische Sinnlichkeit dieser Musik regelrecht explodieren lassen. Auf fliegendem Teppich so schnell wie ein Vogel haarscharf an Moscheenkuppeln und Minaretten vorbei kurvend, umringt von Haifischflossen um das Leben schwimmend, in Wasserblasen in die Tiefe gleitend und schließlich in Zauberkreisen gegeneinander kämpfend wird die tragische Liebesgeschichte während der Kreuzzüge wie einst zum spektakulär amüsanten Unterhaltungsabend. Händel, der bei der Uraufführung die modernsten Spezialeffekte einsetzte, hätte sicher seine Freude daran. 

Der Clou der Inszenierung des Landestheater Niederbayern ist die ständige Durchbrechung der optischen Effekte durch die tapsigen Bewegungen auf der Bühne. Gleichzeitig erlebt man die schauspielerische Mimik im Großformat, als wäre tatsächlich ein animierter Oper-Actionfilm gedreht worden.

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

Die Geschichte ist einfach. Damit Rinaldo seine große Liebe Almirena bekommt, muss er zuerst für den künftigen Schwiegervater Goffredo, Anführer der Kreuzritter, die Schlacht gegen den sarazenischen König Armantes in Jerusalem gewinnen. Dessen Geliebte, die Zauberin Armida, raubt Rinaldo, in den sie sich verliebt hat. Armantes indes entflammt für die inzwischen gefangen genommene Almirena. Trotz Armidas tückischer Verwandlungskünste bleibt sich das Liebespaar treu und dank eines christlichen Gegenzauberers werden Armidas magische Kräfte im Kampf gebrochen. Dem Happyend von Rinaldo und Almirena steht nichts mehr im Wege. 

Unter der subtilen musikalischen Leitung von Cornelia von Kerssenbrock präsentiert die Niederbayerische Philharmonie einen ganz neuen, ausdifferenzierten Farbklang. Das Orchester überrascht durch wunderbare Pianopassagen, nichts drängt sich in den Vordergrund, selbst die Trommeln wirken dezent wie aus der Ferne. Die Streicher akzentuieren leise, doch sehr klangvoll die lyrischen Emotionen. Die Flötensoli entführen im Pianissimo in die Welt der Liebe. Vogelgezwitscher vermittelt paradiesisches Naturidyll. In diesem Kontext kommt selbst die Langhals-Laute als Basso continuo bestens zur Wirkung. Nahtlos wechselt Cornelia von Kerssenbrock vom Dirigat zum  Cembalo und  Cembalistin Kyung A. Jung weitet Händel mit einem rockigen Improvisationssolo in die Moderne. Die Koloraturen steigern sich in jodelnde Juchzer und das Orchester peppt swingend eine Menuettpassage auf. Das ist mutig, mit Fingerspitzengefühl realisiert und gibt der Inszenierung auch auf der musikalischen Ebene einen augenzwinkernden Drive.

Rinaldo mit Sabine Noack zu besetzen ist ein ganz besonderer Schachzug dieser Inszenierung, denn zusammen mit Emily Fultz als Almirena leuchtet trotz stimmlicher Harmonie dieses Liebespaares nicht zuletzt durch Maske und Kostüme auch hier immer wieder die parodistische Ebene auf. Gastsängerin Ina Yoshikawa macht aus Armida eine fulminant kolorierende Magierin, temperamentvoll wie die kosmischen Feuerkreise um sie herum. Durch ihre sympathische Ausstrahlung weniger das Böse verkörpernd als die unglücklich Liebende. Ähnliches gilt für Argente. Miroslav Stričević gibt ihm durch seinen wohlklingenden Bassbariton die Aura eines hilflos verliebten Hünen. In den Nebenrollen setzen Goffredo (Juliane Wenzel) als weißbärtiger alter Mann, vor allem Eustazio (Peter Tilch) ein übermütiger Jungspunt in der Glücksspielszene und der christliche, flügelschlagende Magier (Kyung Chun Kim) originelle Akzente. Nicht zuletzt durch das flapsige Libretto bleibt „Rinaldo“ trotz Krieg und Liebesleid auf allen Ebenen witzig parodistisch, kurzweilig und unterhaltsam.

Künstlerisches Team: Kobie van Rensburg (Inszenierung, Video, Ausstattung), Cornelia von Kerssenbrock (Musikalische Leitung)