Berlinale – Anja Salomonowitz „Mit einem Tiger schlafen“ – ein Künstlerporträt der besonderen Art

Filmkritik "Mit dem Tiger schlafen" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

© coop99 Filmproduktion

Die Großmutter brachte ihrer Enkelin Maria das Zeichnen bei, die Mutter erkannte das Talent der Tochter und ermöglichte ihr Zeichenunterricht. Die Nachbarn ließen sich porträtieren, aber die Bilder sahen ihnen nicht ähnlich. Wegen Obszönität wurde ihr erstes ausgestelltes Werk, ein nackter Mann mit rotem Penis zugehängt. Ihre Bilder, noch dazu von einer Frau gemalt, wurden erst viel später verstanden und schließlich als teuerste Bilder Österreichs versteigert. „Zeit wird´s“, kommentierte Maria Lassnig als 61-Jährige ihre Einladung zur Biennale 1998 in Venedig und bemängelte gleichzeitig, dass man ihr die Bespielung des österreichischen Pavillons nicht allein zutraute und sie ihn mit Valie Export teilen musste. Die Biennale wurde der Auftakt zu ihrer Karriere. Heute zählt Maria Lassnig (1919-2014) zu den berühmtesten Malerinnen Österreichs.

Salomonowitz und Minichmayr interessieren die psychischen Strukturen der Künstlerin. Sie zeigen Maria Lassnig nicht als Star. Sie bleibt im Grunde ein Mädel, geplagt von kindlichen Erinnerungen, Angstträumen und im Alter von Krankheit. „Ich kann nur Menschen malen, die ich fühle und dabei gebe ich einen Teil von mir auf“, erklärt sie ihrer Mutter. Deshalb ist das Malen so schmerzlich für sie. Auf dieses Suchen nach dem „Gefühl von der Innenseite aus“ fokussiert der Film. In der Verknüpfung von Realität und fiktiven Traumata finden Salomomonowitz und Minichmayr magische Bilder.

Ohne große Maske, ohne Kostümaufwand, die Haare wirr ins Gesicht, den Rücken immer stärker gekrümmt spielt Birgit Minichmayr  Maria Lassnig bis auf die ganz jungen Jahre in einem frappierend authentischen Alterungsprozess. Immer wieder liegt sie in neuen Verkrümmungen auf dem Boden, um  körperliche Deformationen und psychischen Schmerz zu finden. Ihre vielen, biografisch belegten Liebhaber kann man sich kaum vorstellen und sie werden im Film ignoriert. Selbst ihre langjährige Beziehung zu dem zehn Jahre jüngeren Arnulf Rainer bleibt marginal, ohne körperliche Nähe. Oskar Haag spielt ihn smart als oberflächlich provokativen Inszenator, der die Beziehung zu Maria Lassnig geschickt für seine Karriere nutzt.

Knackpunkt wird vielmehr die Frage, wo der Liebhaber bleibe, auf den Maria Lassnig das ganze Leben gewartet hat. Es ist eben nicht der männliche Zweibeiner, sondern die Kunst. Symbol wird dafür ein Tiger, den sie bei einem Zoobesuch mit dem Vater zum ersten Mal sah und der nachts in einer surrealen Szene quer durch das Atelier auf ihr Schlafzimmer zusteuert. 1975 gemalt wurde „Mit einem Tiger schlafen“ eines ihrer berühmtesten Bilder und im Tigermantel in der Ausstellung macht Maria Lassnig ein einziges Mal Bella Figura in Kombination mit dem Galeristen im bunten Anzug eine herrliche Parodie auf die Eitelkeit des Kunstmanagements. Und es gibt noch eine zweite wunderbar poetische Szene. Einmal eine Ameise gerettet, solidarisieren sich die Ameisen mit Maria Lassnig nach einem frustrierenden Vorstellungsgespräch, indem ein Heer von Ameisen im Gänsemarsch ein abgelehntes Bild in regennasser Nacht neben der voll bepackten Künstlerin nach Hause balanciert. Eine wunderbare Szene, in der Maria Lassnigs Ausgrenzung und Einsamkeit wenigstens durch die Harmonie mit der Natur ihr psychisches Gleichgewicht behält, das final in der Diskussion mit ihrem Manager und Betreuer bei der Suche nach dem richtigen Himmelblau noch einmal zum Thema wird.

„Mit einem Tiger schlafen“ ist ein überaus subtiles Psychogramm, um  sowohl die Künstlerin Maria Lassnig als auch ihre Bilder zu verstehen.

 Künstlerisches Team: Anja Salomonowitz (Drehbuch, Regie), Jo Molitoris (Kamera), Bernhard Fleischmann (Musik), Joana Scrinzi (Schnitt)

Mit: Birgit Minichmayr, Lukas Watzl, Oskar Haag, Johanna Orsini, Josef Kleindienst