Andreas Kleinerts „Lieber Thomas“ – ein Künstlerfilm nach der Vita des ehemaligen DDR-Schriftstellers Thomas Brasch 

Filmkritik "LIeber Thomas" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

© Zeitsprung Pictures/Wild Bunch Germany, Foto: Peter Hartwig

Vater Brasch, jüdischer DDR-Immigrant, der es bis zum stellvertretenden Kulturminister brachte und 100-prozentig die autoritären Doktrinen des Ostens vertritt, wird zur unfreiwilligen Karikatur dieses Systems, in deren Familien bereits Grabenkämpfe stattfinden. Jörg Schüttauf spielt sinnigerweise neben Brasch senior auch Honnecker.

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Im Westen pervertiert angebliche Freiheit über die Abhängigkeit von Dolce-Vita-Visionen zur Farce. Nicht nur in Schwarz-Weiß-Optik, sondern auch in der Schwarz-Weiß-Rhetorik prallen die Standpunkte aufeinander, wobei sich Thomas Brasch, der liebe, willige Junge angesichts der brutalen Züchtigungsmethoden schnell der Ausbildung entzieht, was schließlich auch zum Bruch mit dem Vater führt. Thomas Braschs Lebensfakten entsprechen den Westvorstellungen vom  Osten, autoritäre Strukturen, Rebellion, Inhaftierung…

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…Bewährung mit der Auflage in einem Industrie-Kombinat für das Wohl des Volkes zu arbeiten, Veröffentlichungsverbot und schließlich Abschiebung in den Westen samt Braschs Lebenspartnerin Katharina Thalbach und deren Tochter durch Bewilligung des Ausreiseantrags.

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In Westberlin glitzern beide als erfolgreicher Autor bzw. umschwärmte Schauspielerin, statt Bier-Party jetzt mit Champagner-Pyramide und Koks. Thomas Brasch bewahrt Haltung. Sein „Leben steht nicht zum Verkauf“. Er lässt sich nicht vereinnahmen für einen Roman, in dem er die DDR vorführen soll, macht lieber seinen ersten Film, der ein großer Erfolg wird. Das Schreiben fällt ihm immer schwerer. Schreibblockade wegen der Drogenexzesse oder umgekehrt bleibt offen. Das wird genauso wenig analysiert, wie der Fall der Mauer ausgespart bleibt. Im Westen kreist der Film, mangels biografischer Daten nur noch um Braschs charakterliche Veränderungen. Er lebte nach der Wiedervereinigung sehr zurückgezogen.

Der Reiz des Films liegt vor allem in der Filmtechnik und schauspielerischen Umsetzung. Braschs kindliche Visionen werden zu Alpträumen, dann zu Horrortrips, die Kamera und Schnitt nahtlos in die Realität übergleiten lassen.

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Fiktionale Impulse wie der des Frauenmörders Brunke, den Thomas Brasch vergeblich auf Roman-Format weiten wollte, gleiten in Braschs persönliche Schaffenskrise über.  

Meist ganz nah gezoomt lebt der Film von der mimischen Aura der SchauspielerInnen, allesamt bestens gecastet bis auf den älteren Brasch, der mit Peter Kremer einen ganz anderen Typ als Albrecht Schuch verkörpert. Nahtlos dagegen gelingt der Wandel vom Kind (Claudio Magno) zu Albrecht Schuchs Thomas-Version in immer neuen Varianten, reifer, älter, erfolgreicher. Gleich bleibt seine impulsive Leidenschaftlichkeit, sobald sein Blick sich in den Augen einer weiblichen Schönheit spiegelt. Erotik und Drogen, Narzissmus und soziale Gerechtigkeit wirken als Triebfedern seiner Kreativität.

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Mit einem zusammengerollten Karl-Marx-Schein schiebt Brasch das Kokain auf Linie, eine tiefgründige Metapher. Er lässt sich vom Westen finanzieren, nicht um dessen Klischees vom Osten zu befriedigen, sondern den Westen zu „bepinkeln“ und wird doch Opfer der Abhängigkeit, ohne dagegen zu rebellieren. Braschs Film wird ein grandioser Erfolg. Doch einen Roman zu schreiben, reicht, wie der Vater es knallhart formuliert, das Talent seines Sohnes nicht.

Der Film lebt letztendlich von den menschlichen Beziehungen, von der Magie des beseelten Augenblicks, der sich in leidenschaftlichen Liebestaumel steigert, sich in rebellischer oder romantischer Liebe verdichtet, Kreativität steigert und diese gleichzeitig durch die Aggressionen und körperliche Zusammenbrüche der Drogenexzesse zerstört. 

Albrecht Schuch spielt diese Persönlichkeitsveränderungen mit einer Wucht, die unter die Haut geht. Die Facetten seines Blicks lassen das unwiderstehliche Bubenlächeln immer wieder aufleuchten. Seine Pupillen weiten sich angesichts des innerlich erlebten Horrors und machen schizophrene Bewusstseinsspaltungen sichtbar. Den Hedonisten und Rebellen, Visionär und Versager, vor allem den nach Gerechtigkeit Suchenden entdeckt Albrecht Schuch in diesem Thomas Brasch. Der erlebt durch den Film eine neue Renaissance, Schuch ein noch größeres Image als Charakterschauspieler.

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Künstlerisches Team:  Andreas Kleinert (Regie), Thomas Wendrich (Drehbuch), Klaus Pohl (Buchvorlage), Johann Feindt (Kamera), Gisela Zick (Schnitt), Jens Quant „Soundtrack

Produktion: Michael Souvignier, Till Derenbach 

Mit Albrecht Schuch (Thomas Brasch), Peter Kremer (Thomas Brasch älter)), Claudio Magno (Thomas Brasch als Kind), Jelle Haase (Katarina), Jorg Schüttauf (Vater, Erich Honecker), Anja Schneider (Mutter), Joel Basman (Klaus, Gladow), Ioana Iacob (Sandra)