©Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2021
Rutger Bregman geht den global existierenden Narrativen vom Bösen auf den Grund, hinterfragt US-amerikanische Testreihen, Fachbücher, Medienberichte und entdeckt das Gegenteil von Thomas Hobbes kritischem Rationalismus, dass nur durch strenge Gesetze und konsequente Bestrafungen die Menschen friedliche zusammenleben könnten.
William Goldings Zivilisationsparabel „Der Herr der Fliegen“ (Nobelpreis 1983), die das Denken der Öffentlichkeit jahrelang beeinflusste, entkräftigt er. Der Mensch ist nicht von Grund auf Böse, verhält sich allen Unkenrufen zum Trotz gerade in Notsituationen sehr hilfsbereit und solidarisch. Je besser sich die Menschen kennen, je respektvoller und freundschaftlicher gehen sie miteinander um, desto mehr verschwinden Ressentiments und kommen die guten Eigenschaften zum Vorschein.
Fünf Jahre lang recherchierte Rutger Bregman quer durch die menschliche Kulturgeschichte archäologische, historische, gesellschaftspolitische Fakten, universitäre Testreihen und Publikationen, um positive Gegenbeispiele zu finden und überzeugt den Leser durch verblüffende Argumentationen und innovative Ideen existentielle Probleme zu bekämpfen.
Studien über den Zweiten Weltkrieg beweisen, wo die Not am größten ist, halten Menschen durchaus zusammen. Die Moral wird nicht geschwächt, vielmehr der Wille zur Verteidigung gestärkt. An Naturkatastrophen wie bei der Sturmflut in New Orleans beweist er, dass der gezeigte Altrusimus viel größer war als Plünderung und Egoismus.
Studien belegen, dass regelmäßiger Nachrichtenkonsum der geistigen Gesundheit schadet. Sie melden nur negative Ausnahmesituationen. „Nachrichten sind für den Verstand, was der Zucker für den Körper ist“. Sie machen für das Negative sensibler.
Rutger Bregman recherchiert voller Energie, hinterfragt Narrative, die er wie im Fall der Bewohner der Osterinseln ad absurdum führte. Wissenschaftliche Testreihen mit Studenten, die inhaftierte Mitstudenten malträtierten, um zu beweisen, dass jeder Mensch böse sein könne, entlarvte Bregman als manipulierte Testreihen.
Er plädiert für das freie, spielende Kind, das sich selbst entfaltet und nicht bereits in der Schule zum homo oeconomicus gedrillt wird. Elinor Ostrom, 2009 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet, führt er als positives Beispiel an, weil sie neben Staat und Markt den dritten Weg einer partizipativen Bürgerbewegung visionierte.
Nach der Lektüre erscheinen Rutger Bregmans finale zehn Lebensregeln ganz selbstverständlich, sie sind im Grunde auch allgemein über Religion und Ethik akzeptierte Verhaltensrichtlinien. Im Zweifelsfall vom Guten auszugehen, die „Win-Win“-Szenarien entdecken, Fragen stellen, statt die eigenen Ansichten zu repetieren, nicht Empathie, die auslaugt, sondern Mitgefühl zeigen, das keine Energie fordert, sondern ein gutes Gefühl menschlicher Wärme vermittelt. Es ist wichtig, den anderen zu verstehen, auch wenn man anderer Meinung ist, den anderen so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Nachrichten auszublenden, wird nicht funktionieren, aber man muss sich die mediale Manipulierbarkeit ständig bewusst machen.
Aber spätestens bei „Sich nicht mit Nazis schlagen“, sondern kluge Gegeninitiativen zu starten, zeigt, dass seine Argumentation durchaus auf dünnen Beinen steht, denn er offeriert nur eine Seite der Medaille. Die durch und durch negativen Machenschaften kriegstreibender Diktatoren, Gewalttäter und die überall zunehmend mafiosen Strukturen blendet er aus.
Rutger Bregman „Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2021, 432 S.