©aufbau Verlag 2022
Mit dem Angriffskrieg der Ukraine beendete Putin endgültig den Versuch eines gemeinsamen friedvollen Miteinander. Kooperation wich der Konfrontation. Wie konnte es dazu kommen?
Rüdiger von Fritsch geht von Putins Persönlichkeit aus und seinen wiederholt formulierten Denkschablonen. „Einmal KGB immer KGB“ und „Das Ende der Sowjetunion ist die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.“ Während der Pandemie lebte Putin völlig abgeschieden. Wer ihn sprechen wollte, musste 14 Tage in Quarantäne. Er überließ die Pandemiebekämpfung der Regierung und beschäftigte sich mit der Geschichte Russlands und Russlands Berufung zur Großnation, in der er sich selbst einen Platz in der Geschichte Russlands sichern will. Putin lebt keineswegs in einem Wahn, sondern denkt überaus rational und strategisch, um die verloren gegangenen Sowjetrepubliken wieder einzusammeln. Eine Niederlage Russlands in der Ukraine kommt für Putin nicht in Frage.
Putin agiert wie der Kriegsverlauf zeigt nach dem sowjetischen Prinzip der „Schuldlastumkehr“. Hat man die Gegenseite provoziert, etwas angerichtet, erfolgt gleich noch ein zweiter Angriff oder eine wuchtige Drohung wie die Verwendung von Atomwaffen, um den Gegner zu verunsichern.
In drei zeitlichen Phasen beleuchtet Rüdiger Fritsch Putins imperialistische Strategien im „Schatten der Geschichte“. Nach der Wirtschaftskrise durch die Umstellung auf die Markwirtschaft konnte sich Putin an einen gedeckten Tisch setzen. Wer linientreu war, behielt sein Vermögen. Das Volk blieb arm, hielt aber zu Putin, weil er für Ruhe und Ordnung sorgte und Russland wieder ein international renommiertes Image verlieh. Doch Putin höhlte die horizontale Gewaltentrennung aus. Oligarchen wurden auf seinen Kurs eingeschworen, kritische Stimmen enteignet oder ganz ausgeschaltet. Putin nimmt die Welt nur aus seiner Perspektive wahr. Wer anderer Meinung ist, gilt als Terrorist. Putins Vorbild ist Alexander III. (1881-1894) der durch seine Kolonialpolitik das russische Staatsgebiet ausdehnte. Putin sieht die Ex-Republiken immer noch als russisches Eigentum, erkennt sie nicht als echte Staaten an, weil in diesen Staaten die Rechte der Russen nicht genügend geschützt werden. Seine Argumentation ignoriert die Tatsache, dass die ursprüngliche Bevölkerung von den Zaren und von Stalin zum Aufbau von Sibirien verschleppt wurde und die „Zwischenstaaten ganz bewusst russifiziert wurden.
Immer noch ist das Militär in Russland der wichtigste Ordnungsfaktor, der Lebensstandard der Elite der Oligarchen extrem niedrig und das Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung größer als nach Freiheit.
Im Budapester Memorandum von 1994 sicherte Putin der Ukraine Selbstständigkeit zu, wenn das gesamte Kernwaffenarsenal, das drittgrößte der Welt an Russland zurückgegeben werde. 2014 marschierte er im Donbas ein. Auf Putins Aussagen ist kein Verlass.
Rüdiger von Fritschs Resümee überzeugt. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich in Russland nicht viel ändern dürfte.“ Putin führt nicht nur die Ukraine, sondern auch das eigene Land ins Verderben. Auch wenn sie alt wird, hat immer noch die einstige, russisch ausgebildete Riege das Sagen. Aber Russland ist nur noch „Wachmann in Zentralasien. In China wird das Geld verdient.“
Zur Zeitenwende findet Rüdiger von Fritsch in einem Interview über sein Buch noch einen anschaulichen und überzeugenden Vergleich. „Putin hat das Schachbrett mitten im Spiel umgeworfen. Damit sind allerdings weder die Regeln des Schachs falsch geworden, noch in der Vergangenheit unternommene Züge unsererseits. Der politische Ansatz, den wir verfolgt haben, bleibt ja gut und richtig: Entschlossene Reaktion, wo gemeinsam verabredete Regeln verletzt sind, bei gleichzeitiger Bereitschaft, bestehende Konflikte im Dialog zu lösen. Aber diesen Dialog hat Wladimir Putin nun abrupt beendet.“
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Rüdiger von Fritsch (*1953) bereitete die EU-Osterweiterung als Unterhändler in Brüssel vor. Er war Leiter des Planungsstabes des Bundespräsidenten und Vizepräsident des BND, von 2010-2014 Botschafter in Warschau und von 2014-2019 Botschafter in Moskau. Sein 2020 erschienenes Buch „Russlands Weg“ wurde zum Spiegel-Bestseller. „Zeitenwende“ steht bereits auf Platz 3.
Rüdiger von Fritsch „Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen“, Aufbau Verlag, Berlin 2022, 175 S.