Berlin – „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“

Richard Wagner und das deutsche Gefühl

©Deutsches Historisches Museum, David von Becker

Mit Vorhängen und Stellwänden abgetrennt wandelt man wie durch ein Labyrinth durch die verschiedenen Lebenssituationen Wagners, lernt man über Bilder, Text, Ton- und Filmaufnahmen, persönliche Objekte und öffentliche Denkmäler Wagner als Ausnahmepersönlichkeit in seinem sozial-politischen und persönlichen Kontext kennen. Ein monumentales Wagnerdenkmal, das 1903 im Berliner Tiergarten als gesellschaftliches Großereignis enthüllt wurde, wirkt im Umfeld der Ausstellung fast ironisch.

Richard Wagner und das deutsche Gefühl

©Deutsches Historisches Museum, Michaela Schabel

Wagner  wird nicht glorifiziert. Es wird nur vielseitig hinterfragt, warum er so wurde, wie er wirkte. Für Wagnerfans und Wagnerkritiker, aber auch für Menschen, die den Kult um Wagner verstehen wollen, ist diese Ausstellung eine Fundgrube.

Das Deutsche ist Wagners Markenkern sowohl in Bezug auf seine Werke als auch auf seine Selbstinszenierung und seine Distanz zu allem Undeutschen. Über seine Musik will Wagner sein Gefühl vom Deutschsein vermitteln, auch wenn er sich mancher Mythen bedient, die gar nicht germanisch sind. Über Hans Sachs‘ Bedauern in den „Meistersingern“, dass kein Fürst mehr sein Volk versteht, macht Wagner seinen Unmut über die Fremden deutlich und in „Parsival“ erlöst er pathetisch im Libretto Jesus vom jüdischen Blut. 

Als Kind seiner Zeit empfindet er immer mehr die Entfremdung durch kulturelle, insbesondere französische Einflüsse. Sie wird zum zentralen Motiv seines künstlerischen Schaffens. In seiner Jugend erlebt er zwischen der Revolution von 1830 und 1848 die unterschiedlichsten Positionen. Er setzt sich mit Hegel, Marx, Bakunin, den antiken Tragödien, mit Schiller und Heine auseinander und entwickelt dabei drei grundsätzliche Denkstrukturen in Bezug auf die Entfremdung von dem, was einem eigentlich ganz nah ist und wozu man plötzlich keine Beziehung mehr hat. Wagner schreibt dialektisch, entwickelt aus These und Gegenthese das Neue. Gleichzeitig denkt er die Weltgeschichte als Verfallsgeschichte. Alle Epochen vergehen. Und er parallelisiert Gesellschaftstheorie und Ästhetik. Was in der Oper gilt, ist auf Gesellschaft und Politik übertragbar, von Verfremdungsszenarien bis zur Vision der religiösen Erlösung.

Ganz selten spricht Wagner von „Eros“, der zweite Schlüsselbegriff der Ausstellung,  und doch versprechen „Weib“ und „Liebe“ die „Erlösung“, weshalb Wagners Musikdramen über Epochen hinweg als Bilder des Eros inszeniert, interpretiert und rezeptioniert wurden. Wer in Wagners Werken dem Weg der emotionalen Sehnsucht folgt, verlässt die gesellschaftlichen Raster. Wer Tabus bricht, Paradebeispiel sind Sieglinde und Siegmund in der „Walküre“, erlebt höchstes Glück, doch nur für kurze Zeit. Das Scheitern folgt. Doch Neues, in diesem Fall ist es Siegfried, entsteht. Er kämpft weiter für die Freiheit.

Wagners zentrales Motiv der „Zugehörigkeit“ ist die Konsequenz seiner Entfremdung, die er in seiner erfolglosen Zeit zwischen 1839 und 1842 erlebte. Die Ausstellung signalisiert durch verhüllte Nischen, wie Wagner diese Zugehörigkeit suchen musste.

©Deutsches Historisches Museum, David von Becker

In der Fremde begann er sein deutsches Image aufzubauen. Seine Opern sind Dramen an ikonischen Schauplätzen Deutschlands, am Rhein, in der Wartburg, in Nürnberg oder in der Walhall. Gleichzeitig weicht sein revolutionäres Denken immer mehr einer nationalen Gesinnung als Kompensation für die verloren gegangene Religiosität.

Als Rückkehrer fühlt sich Wagner in seinem Genie nicht ausreichend gewürdigt. Er empfindet nicht Hass, aber Ekel vor den modernen gesellschaftlichen Entwicklungen, den konservativen Philistern, die sich als neue Herren aufspielen, und vor den jüdischen Bankiers, die seinen Antisemitismus verstärken. Die Retourkutsche erfolgte über Karikaturen.

Richard Wagner und das deutsche Gefühl

©Deutsches Historisches Museum, Michaela Schabel

Die Nibelungen waren ursprünglich eine angesehene Zunft von Goldschürfern. Erst durch Alberichs Ausbeutung, in der Regel antisemitisch interpretiert, mutieren sie zum geschundenen Proletariat. Die Götter, allen voran Wotan, sind Genussmenschen. Auch sie scheitern, weil sie die Grenzen überschreiten, die Werte missachten.  

Gerade diese Polarität revolutionärer Freiheit und wertorientierter Konservativität ist in Wagners Musik emotional fühlbar. Der zunehmenden Rationalität des Lebens setzt er emotionale Spiritualität entgegen, der Entfremdung die Zugehörigkeit zum Wagnerclan als exklusive Elite. Noch immer pilgern die Wagnerianer einmal im Jahr auf den Hügel in Bayreuth, um große Gefühle zu erleben. 

Die Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ ist im Deutschen Historischen Museum Berlin noch bis 11. September zu sehen. 

Zu „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ erschien parallel eine hochkarätige Publikation, die das antipodische Konzept der Schlüsselbegriffe mit jeweils einem ausführlichen Essay und drei kleineren Detailsessays sehr gut herausarbeitet.