Robert Seethalers „Der letzte Satz“ – ein subtiles Porträt von Gustav Mahler

Robert Seethalers Roman "Der letzte Satz" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Urban Zintel

Subtil, mitunter sehr drastisch formuliert, zwischen kongruenten Naturbildern und boshaften Judenklischees, sachlicher Nüchternheit und metaphorischer Schlichtheit artikuliert, gelingt Seethaler ein poetisches Kondensat mit spannend fiktiver Dramaturgie und allgemeinmenschlichem Tiefgang auf der Grundlage biografischer Fakten.

Im Sommer vor drei Jahren dieser letzten Schifffahrt fühlt Mahler bereits „den pulsierenden, in allen Farben leuchtenden Schmerz in seinem Kopf“ als Initialzündung für seine Neunte Symphonie. Robert Seethaler taucht ein in Mahlers Komponierstube auf dem Land, sich mit seiner Frau und den Töchtern im Glück befindend. Doch latent beginnt „Der letzte Satz“ seines Lebens. 

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©Hauser Verlag

In Wien gilt er als Höllenhund, weil er „diese ganze faule, verlogene und hinterfotzige Bande der Wiener Hofoper, deren Direktor er zehn Jahre lang war“, verändern will. Auch in New York führt der Weg von Verzweiflung, Verweigerung, Zusammenbruch letztendlich zum Durchbruch und zur Auflösung. Das hinterlässt Spuren. Sicher fühlt Mahler sich hinter seinem alten Pult, das ihn ein Leben lang begleitet, in dem die ganze Freude und Wut seines Lebens steckt. 

Seine Erinnerungen sind durchpulst von der Liebe zu seinen Kindern Maria und Anna und zu Alma, seiner Frau, nach der halb Wien verrückt ist und die selbst in Paris die Blicke der Männer und Frauen auf sich zieht.

Weniger schön sind die Erinnerungen an seine Dirigententätigkeit, insbesondere in Wien, wo der „sogenannte Wiener Schöngeist“ sich „in Wahrheit als provinzieller Kleingeist“ entlarvt und er gegen die Wächter des „Ewiggleichen“ kämpft, schließlich in Ungnade der Kritiker fällt, als er, ausgerechnet ein Jud, Beethovens Neunte retuschiert, Richard Strauss´ freizügige „Salomé“ aufführt, und die Wiener Hofoper ins Defizit bringt. New York wird seine neue Heimat.

Noch schmerzlicher werden die Erinnerungen, als er Almas Seitensprung entdeckt, die sich in all den Jahren von ihm nicht wahrgenommen fühlte. Nur wegen der Ahnung seines nahen Todes bleibt sie bei ihm. Weder Freud noch der ungeheure Erfolg der Achten Symphonie in der Münchner Ausstellung vor 4000 Besuchern, werbewirksam als „Symphonie der Tausend“ vermarktet, können Mahler über diese Lebenskrise hinweghelfen. 

Von seinem Tod erfährt der Leser aus der Perspektive des Schiffsjungen ganz nebenbei aus einer alten vergilbten Zeitung. Wie dieser junge Mann möchte der Leser vielleicht jetzt auch unbedingt die Musik Mahlers kennen lernen.

Robert Seehofer „Der letzte Satz“, Hanser Verlag, München 2020, 126 Seiten,