©Suhrkamp Verlag
Manchen wurde er sogar zum Orakel mit seinen kurzen pfeilgeraden Sätzen, mit denen er in „einem dämonischen Ruck“ den Urgrund eines Menschen offenlegte. Mit der Zeit werden es mehr Irre. Jeder hat seinen Öffentlichkeitsbereich. Jeder spiegelt auf seine Weise, was anderen auch passieren könnte. Aber nur das erzählerische Ich erlebt den biblisch läuternden Augenblick in der Runde von Fischern, in der ein „guter Zuschauer“, es ist der Liebste seiner Schwester, durch Hinschauen und Zuhören die inneren Dämonen vertreibt.
Davon handelt das zweite Kapitel von „Mein Tag in einem anderen Land“, und zwar auf der anderen Seite des Sees in Dekapolis, dem felsigen Zehngemeindenland, wo sich die Menschen zwar in traumatisch surrealen Situationen befinden, allesamt wie Fahrschüler, gutwillige Anfänger in ihren Tagträumen wirken, aber immer freundlich den Fremden grüßen. Plötzlich wehen „sternschnuppenkurz“ Erinnerungen heran, fliegen Horizonte herbei.
Handke reiht seine geschmeidigen Sprachbilder aneinander. Sie entwickeln eine ungewöhnliche Kraft ohne zu erklären, wohin sie zielen. Trotzdem erschließen sich die verrätselten Botschaften in ihrer poetischen Dichte. „Wer sich des Tags freut, freut sich der Welt.“ Das erzählerische Ich findet sein Du. Aus einem Tanz wird eine Hochzeit, aus der Getrenntheit eine Angehörigkeit. Nun blickt aus den Augen der Kinder die Angst, während das alte Ich final noch einmal vom Friedhof, der Wirkungsstätte seiner Rebellion, träumend, sich im Spiegelbild als sanfter Mann erlebt, den der Widerstand aus ihm gemacht hat.
So wird die Geschichte über die Blaupause des alternden Peter Handke hinaus, zur Parabel über den Sinn von Widerstand und Ortung, Irrsinn und Sinnhaftigkeit, Oberfläche und Blick in den Seelengrund.
Peter Handke „Mein Tag in einem anderen Land – Eine Dämonengeschichte “, Bibliothek Suhrkamp, Berlin 2021, 94 S.