Nikolaus Bachler „Sprachen des Musiktheaters – Dialoge mit fünfzehn zeitgenössischen Regisseuren“

Buchkritik Nikola Bachler "Sprachen des Musiktheaters" präsentiert von www.schabel-kulltur-blog.de

©Schirmer/Mosel Verlag

Albert Ostermeier findet dafür in seinem Vorwort arg exklusive Worte. Er schreibt von einem „Lesebuch für Stadtbewohner“, „von einem Gesangsbuch für die, die an das Wunder der Oper glauben“. Umso natürlicher wirken die Gespräche, in denen Nikolaus Bachler, das herausarbeitet, was die einzelnen Regisseure ausmacht, eine Frau ist nicht darunter. Er begnügt sich nicht mit knappen Interviewfragen, parliert fundiert, bringt eigenes Wissen, eigene Ansichten ein, woraus sich unterhaltsame und aufschlussreiche Gespräche ergeben. „Mit einer intelligenten Idee kann man jemanden faszinieren“. Genau darum kreisen die Gespräche, deren Ziel es ist Verständnis für neue Regiestile zu schaffen und Urteilen „Wunderbar gesungen, aber schreckliche Inszenierung ist einer der blödesten Sätze“  entgegenzuwirken. 

Zwischen Hans Neuenfels zu Beginn und Dmitri Tchernaikov zum Abschluss öffnet sich der Vorhang auf herausragende Regiehandschriften. Hans Neuenfels wurde im Westen der 1970er Jahre zum Inbegriff des Regietheaters. Spannend erzählt er, wie sich in den Kontroversen mit Dirigent Dielen Interpretationen und die dahinter stehende ethischen Haltungen entwickelten, wofür der damals heroisch ironisierte Triumphmarsch in Verdis „Aida“ zum Paradebeispiel wurde. Interpretation bedeutet das Zentrum, die „Offenbahrungseid-Stelle“, den „Bekennermoment“ des Komponisten zu finden. Die Regie überprüft den Wahrheitsgehalt, was manche Opernbesucher in ihrer gewohnten Heimeligkeit in der Musik beträchtlich stört.

Für den Polen Krzyzstof Warlikowski ist nach wie vor die Freiheit das Allerwichtigste. Nicht die Karriere, sondern die Gesellschaft zu verändern war in Polen die wichtigste Motivation. Auch in Deutschland, dem er sich durch die gemeinsame Vergangenheit durch den Krieg sehr verbunden fühlt, interessieren ihn nicht Träumereien, sondern Realitäten. Immer neue Welten will er erschließen und verknüpfen.

Von seiner DDR-Vergangenheit geprägt wurde Frank Castorf sehr schnell bewusst, „in dem Moment, wo man Kunst macht, ist man ein freier Mann.“ Dabei kann man „sich alles, was ist, auch anders vorstellen“.

Romeo Castellucci, der beharrlichste Regisseur, den Nikolaus Bachler kennt, will ganz bewusst manches verstecken und ähnlich wie in der Psychoanalyse das Individuum befähigen Musik zu sehen, sie neu zu entdecken. Er ist sich der ethischen Verantwortung bewusst. Oper ist Luxus, aber „Schönheit ist das einzige, woran wir uns halten können.“

Nicht als politischen, sondern als poetischen Regisseur empfindet sich Andreas Kriegenburg. Er will sich ganz bewusst von der Wirklichkeit entfernen, neue Innenräume finden. Im Unterschied zum Theater, wo man als Regisseur dissonant arbeiten, selbst komponieren kann, muss man in der Oper der Komposition folgen. Nach dem Münchner „Ring“ würde er Wagner gerne noch einmal inszenieren und ihn „so weit treiben, wie Wagner es anbietet“. 

Barrie Kosky spricht bewusst nicht von Opernregie. Er macht Musiktheater. Der Text ist das Wichtigste. Er muss klar artikuliert und im kollaborativen Probenprozess interpretiert werden. Jedes Meisterwerk hat Hunderte von Perspektiven, denen man folgen kann und zu keiner Partitur gibt es Regieanweisungen. Von den SängerInnen erwartet er außerdem ein starkes körperliches Ausdrucksvermögen. „Gute Oper geht vom Bauch zum Kopf.“ Seine Vision ist eine Oper in der Tradition des griechischen Theaters als großes rituelles Live-Erlebnis.

Für Martin Kušej ist das Regie-Handwerk die Basis, das in Deutschland anders als in anderen Ländern über die Schauspielregie sehr stark ausgeprägt ist. Auf digitale Medien verzichtet er lieber. Die Expression der SchauspielerInnen bzw. SängerInnen ist ihm wichtiger.

Für Dmitri Tcherniakov ist Oper dann gut, wenn das Regiekonzept so aufgeht, dass sein Adrenalinspiegel steigt, wenn die Musik mit der Regie im Einklang ist. 

Das wünscht sich auch Nikolaus Bachler. „Mein ganzes Leben habe ich dagegen angekämpft, gegen Kritiker, gegen das Publikum, gegen Dirigenten, gegen Regisseure“. Das Argument die Werke zu schützen lässt Nikolaus Bachler nicht gelten. Er würde gerne noch eine Zeit erleben, „in der wir in die Oper wirklich eingreifen“.

Dazu passen Georgia Grinters subtile Licht-Schattenzeichnungen aus verschiedenen Perspektiven um den Gesprächstisch. Das Tischrund, sonnenweiß, wird zur Bühne, erstrahlt durch das Management der Intendanz, das Können der RegisseurInnen und belebt sich durch die Gläser, die KünstlerInnen, die ihre Schatten werfen. Wie jede Oper ist auch dieses Buch bis ins letzte Details perfekt inszeniert und setzt einen gekonnten Abschluss für das Image von Nikolaus Bachler, der sich als Intendant immer als Brückenbauer zwischen Künstlern und Publikum, Oper als Institution und Politik verstand.

„Sprachen des Musiktheaters“ ist ein Buch, das man immer wieder gern zur Hand nimmt. Warum im Glossar der Regisseure deren Arbeiten nicht alle erfasst sind, ist vor diesem Hintergrund durchaus erklärbar.

Nikolaus Bachler wurde 1951 in Frohnsdorf in der Steiermark geboren. Er studierte Schauspiel am Wiener Max-Reinhardt-Seminar. Nach Engagements im Landestheater Salzburg und an verschiedenen deutschen Bühnen wechselte er von 1987 bis 1990 als künstlerischer Betriebsdirektor an das Berliner Schiller-Theater, anschließend für zwei Jahre nach Paris, wurde dann Intendant der Wiener Festwochen, 1996 Intendant der Wiener Volksoper, 1999 des Wiener Burgtheaters. Von 2008/09 bis 2021 war Nikolaus Intendant der Bayerischen Staatsoper. Ab 2022 übernimmt er die künstlerische Gesamtverantwortung für die Salzburger Osterfestspiele.

Buchkritik Nikola Bachler "Sprachen des Musiktheaters" präsentiert von www.schabel-kulltur-blog.de

©Schirmer/Mosel Verlag

Nikolaus Bachler „Sprachen des Musiktheaters – Dialoge mit fünfzehn zeitgenössischen Regisseuren“, Schirmer/Mosel Verlag, München 2021, 220 S.