Nele Pollatscheck „Kleine Probleme“ – große Assoziationen

Buchkritik Nele Pollatscheck "KLeine Problem" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Galiani Verlag Berlin, 2023

Das „Anfangen“ ist beim Schreiben immer das Schwerste, auch für Nele Pollatscheks Antihelden Lars, der in der Ich-Form erzählt. Das beste Buch will er seit Jahrzehnten schreiben und hat immer noch nicht mehr als ein paar Stichwörter notiert. Am 31. Dezember schiebt er Panik. Johanna, die sich zermürbt von seiner Unordnung und seinen leeren Verbesserungsverprechen in Lissabon ein halbes Jahr Auszeit genommen hat, kehrt zu Silvester zurück. Was Lars wochenlang aufgeschoben hat, muss er jetzt an einem Tag erledigen. Eine To-do-Liste ist schon einmal der Anfang. Dreizehn Aufgaben gilt es abzuarbeiten vom Bettreparieren, Putzen, Regenrinne-sauber-machen bis zum Mit-dem Rauchen aufhören und „es gut machen“, woraus sich die 13 Buchkapitel ergeben und sich gleichzeitig ein Porträt dieses ungleichen Paares herauskristallisiert. Johanna, mit der Lars zusammenlebt und zwei inzwischen erwachsene Kinder hat, ist ein pragmatisches Vorbild von Ordnung, Lars dagegen ein Meister des Nicht-Sehens, immer unter dem Druck, Ordnung zu schaffen, damit er endlich sich selbst und seine Beziehung zu Johanna in Ordnung bringt. 

Völlig gestresst beginnt er gegen das Chaos anzukämpfen und über den einzigartigen Makrokosmos der Ordnung vor sich hin zu philosophieren, der allein durch eine der Millionen Mikrokosmen der Unordnung außer Balance gerät. Das kann inklusive der irrwitzigen Gedankenbreite vom Zauberwürfel bis zu Einstein durch groteske Übertreibungen, originelle Metaphern und penibelste Beschreibungen durchaus Leselust erzeugen, aber bei nicht allzu großer Leseausdauer vorschnell ermüden, womit der Roman wiederum sehr raffiniert die Mühen einer 100prozentigen Ordnung auf der Leseebene spiegelt, deren einfache Lösung Nele Pollatscheks ausufernder Erzählstil verweigert. Im Licht der Sonne betrachtet erscheinen Lars die Staubkörnchen, als tanzten sie durch Gold und erinnern ihn an das Chaos in Manhattan nach Mitternacht, wodurch er sich wiederum sehr wohl auf seiner Insel fühlt und resümiert. „Alle ordentlichen Wohnungen sind auf ihre eigene Art ordentlich, alle unordentlichen Wohnungen gleichen einander“, worin der belesene Leser natürlich amüsiert die abgewandelte Anspielung auf Tolstois Romans „Anna Karenina“ erkennt. In epischer Erzählbreite und kafkaesken Denklabyrinthen bringt Nele Pollatschek gesellschaftliche Paradoxien auf den Punkt, wenn ihr Protagonist die Steuerbelege einsortiert, von der feministischen Weigerung zu heiraten bis „zur nie geahnten Nähe der Unendlichkeit des Menschen in seiner Funktion als Steuerzahler“.

„Kleine Probleme“ sind eine Fundgrube Selbstverständliches aus neuen Perspektiven zu durchdenken und gipfeln in einer 17-seitigen Zubereitungsbeschreibung diverser Nudelsalat-Variationen, die sich schließlich ganz zeitgemäß auf das Niveau einer Fertigterrine reduziert. Aber der „neue“ Lars schafft alles. Entsprechend werden die letzten Kapitel immer kürzer. Selbst das Silvester-Feuerwerk durch Regenwasser außer Gefecht gesetzt, bringt ihn nicht mehr aus der Ruhe. Dann eben Wunderkerzen, denn „wer nimmt schon Werk, wenn er auch Wunder haben“ kann. Bei der Reparatur der Dachrinne bei dichten Schneefall breitet sich noch einmal pures Chaos aus. Aber Lars schafft alles, wenn auch etwas ramponiert, was er sich vorgenommen hat, womit Nele Pollatschek den grotesken Gedankenmonolog in einem zuckersüßen Happyend enden lässt. 

Entweder man ist von dem Roman begeistert oder man legt ihn schnell zur Seite. Das narrative und sprachliche Talent Nele Pollatscheks ist auf jeden Fall außerordentlich.  

Nele Pollatschek „Kleine Probleme“, Galiani Verlag Berlin, 2023 S. 194

 

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