Mieko Kawakami „Heaven“ – ein Coming-Up-Roman über Mobbing mit philosophischen Fragestellungen

Buchkritik Mieko Kawakami "Heaven" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Dumont Verlag, 2021

Beide Mobbingopfer sind Gezeichnete. Er schielt. Sie wirkt ungepflegt, stinkt, aber mit Absicht als Zeichen der Erinnerung und des Respekts gegenüber ihrem verarmten Vater, von dem sich ihre Mutter scheiden ließ. Sie mag „Schielauge“, wie der Junge verspottet wird, weil auch er ein Zeichen hat und die Welt mit anderen Augen sieht, was seine Sicht aber auch extrem einengt, wie er später bemerkt.

Die Freundschaft der Opfer bringt den beiden etwas Halt, aber weder „Heaven“ noch ein Happyend, ist nur Konstrukt aus distanzierter Sicht extreme Standpunkte über Lebenskonzepte ins Spiel zu bringen und Schlaglichter auf die fehlende Empathie der Erwachsenen gegenüber der jungen Generation zu werfen. „Heaven“ heißt das Bild, das Kojima ihrem neuen Freund zeigen will, dessen angebliche Schönheit er aber nie zu sehen bekommt. Typisch japanisch liebt Mieko Kawakami derartig romanumfassende Metaphern.

Immer mehr enthüllt sich hinter der dramatischen Mobbinggeschichte die philosophische Frage, wieso derartiges Unrecht überhaupt geschehen kann, warum die einen dominieren und die anderen in die Rolle des Opfers gedrängt werden. Ist die Rollenverteilung tatsächlich nur Zufall, wie einer aus der Mobberclique behauptet? Ist das ganze Gerede von Recht und Unrecht nur Lüge, nur „Beschiss“? Oder macht, wie Kojima behauptet, Schwäche stark? Sie provoziert ganz bewusst, damit sie gemobbt wird, um so den Starken die eigene Schwäche zu spiegeln.

Auch wenn die Coming-Up-Geschichte wie ein Jugendroman wirkt, zieht sie durch die schlichte, aber sehr direkte und distanziert nüchterne Erzählweise Mieko Kawakamis schnell in ihren Bann, vor allem im letzten Drittel, als die philosophischen Fragestellungen auftauchen.

Durch die Positionierung von „Heaven“ auf der Shortlist des International Booker Prize 2022 mit nur sieben Titeln wurde Mieko Kawakami in diesem Jahr zum internationalen Coming-up-Star der Literaturszene.

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©Shortlist International Booker Prize 2022

Mieko Kawakami wurde 1976 in Osaka geboren. Sie gilt als eine Vertreterin der jungen rebellischen Frauengeneration in Japan. Ihr zweiter Roman „Chichi to Ran“ wurde unter dem Titel „Brüste und Eier“ 2020 von Katja Busson ins Deutsche übersetzt. Der Roman kreist um die Frage, was es für eine Frau bedeutet ein sinnorientiertes und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Mieko Kawakami „Heaven“, Dumont Verlag, Köln 2021, 192 S.