Michael Lüders „Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen“ 

Buchrezension Michael Lüders "Moral über alles" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Goldmann Verlag, 2023

Zwei Jahre nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine erweist sich die Unsinnigkeit von Wirtschaftssanktionen. Die Profiteure der „Zeitenwende“, die Kanzler Scholz einläuten wollte, sind die Großmächte, Deutschland zählt zu den großen Verlierern. Nicht Russland wurde durch die Sanktionen ruiniert, wie es sich Außenministerin Baerbock, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und der US-amerikanische Präsident Biden wünschten, vielmehr schlagen die Sanktionen und die daraus resultierenden Energiepreiserhöhungen wie ein Bumerang in Deutschland auf, verursachen gigantische Verschuldungen, Inflation, Entindustrialisierung und gesellschaftliche Spaltung.

Kompetent, auf das Wesentliche fokussierend lässt Michael Lüders hinter die Kulissen der geostrategischen Weltpolitik blicken und macht dabei den Zweckrationalismus der USA, Russlands, Chinas und der entsprechenden Bündnisse transparent. Gut ist, was der imperialen Macht dient. Dabei spielt die Moral keinerlei Rolle. Die 180-Grad-Wende vom Wandel durch Handel in den Kalten Krieg mit seinen Gut-Böse-Stereotypen brachte nur neue Abhängigkeiten. Die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Probleme Deutschlands können den Großmächten nur Recht sein. Sich auf die Moral berufend katapultiert sich Deutschland dabei ins politische Aus. 

Die Qualität des Buches ist, dass Michael Lüders zeigt, wie stark alles miteinander verwoben ist. Er hat nicht das deutsche Klein-Klein im Blick, sondern die großen geostrategischen Visionen und die wahren Absichten dahinter. Indem er aus der Perspektive Putins, Xi Jinpings und der US-amerikanischen Perspektive schreibt, eröffnet er dem Leser ein neues politisches Verständnis, z.B. wer den größten Vorteil von der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline hatte oder warum alle Südstaaten gegen die Sanktionen stimmten. Michael Lüders stellt die wesentlichen Fragen nach den eigentlichen Interessen der USA in der Ukraine, und welche Rolle Deutschland und Selenski dabei spielen, warum den USA die Nordstream 1 und 2 immer schon ein Dorn im Auge war und was die NATO-Ost-Erweiterung mit dem russischen Aggressionskrieg zu tun hat. Schließlich akzeptiert keine Großmacht ein politisches Agieren im Vorzimmer ihres Machtbereichs, wie die Cuba-Krise schon 1963 zeigte. Verhandeln ist immer besser als „kalte Kante zeigen“. Auch in diesem Bereich zeigt sich China heute als Führungsmacht. Nicht Biden, sondern Xi Jinping gelang die Annäherung von Iran und Saudi-Arabien, wodurch sich der Nahe Osten immer stärker Richtung China ausrichtet.

Warum werden militärische Untaten nur auf der kommunistischen Seite, aber nicht in der westlichen Welt von der deutschen Außenministerin kommentiert? Warum zerschneidet man wegen Menschenrechtsverletzungen Handelsbündnisse und erwähnt sie bei neuen Energielieferanten nicht einmal? Schon die Fragen zeigen die Fragwürdigkeit dieser moralischen Ansprüche. 

Aber die wichtigste Frage bleibt ausgespart. Kann man durch die Nato-Ost-Erweiterung einen imperialen Aggressionskrieg legitimieren? Michael Lüders stellt sich mit dieser Publikation einmal mehr auf die russische Seite und macht imgrunde dasselbe, was er anklagt, eine Moralisierung. Die Bösen sind die Amerikaner. Mit dieser Haltung passt er bestens ins Parteiprogramm des Bündnis Sahra Wagenknecht.

Michael Lüders studierte Politik- und Islamwissenschaften in Berlin und Damaskus und war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Er berichtete schon in den 1990er Jahren aus Afghanistan, war Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, in Nachfolge des verstorbenen Peter Scholl-Latour, und ist Mitglied im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. Er hält Vorträge über das Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und der arabisch-islamischen Welt und ist häufiger Gast in Hörfunk und Fernsehen. Auf YouTube äußert sich Michael Lüders regelmäßig zu aktuellen politischen Themen. Zuletzt erschienen von ihm die Spiegel-Bestseller „Hybris am Hindukusch. Die scheinheilige Supermacht“ und  „Moral über alles“. Michael Lüders gehört seit Januar 2024 dem erweiterten Parteivorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht an.

Michael Lüders „Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen“, Goldmann Verlag, München 2023