"Kultur macht glücklich"


Margarete Stokowski „Untenrum frei“

Veröffentlicht am:

von

Margarete Stokowski „Untenrum frei“

©Rowohlt Taschenbuch Verlag 

Feminismus bedeutet Freiheit und Selbstbewusstein, beides zu finden ist für die Frau und die Gesellschaft ein langer Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Zu stark sind die Klischees der Erziehung und Vorbilder bestimmt von Schönheitsidealen, der Ethik in erster Linie für andere da zu sein und der Reduzierung der Frau zum Objekt. Quer durch die Literatur von der Antike bis in die Gegenwart wird über die Frau verhandelt. Sie wird gerettet, gefangen, benutzt, geheiratet und dominiert. Selten agiert sie selbst. 

Schon in der Pubertät entwickeln Mädchen eine To-do-Liste nach den gängigen Schönheitsidealen. Sie„wachsen und waxen“. Über Talkshows und Zeitschriften erfahren Mädchen, wie sie zu ticken haben. Seit der Entbindung aus dem Kinder-Küche-Kirche-Mythos zwängt man Frauen noch mehr in den Schönheitskult. Nach wie vor reduziert man sie in der Werbung auf  Sex- und Dekorationsobjekte. Meist steht der Körper der Frau im Vordergrund. 

„Wissen wäre Macht“, so Stokowski, vor allem in puncto Sex, wo Frauen über Ratgeber, Bücher und Filme nur als Dienstleisterinnen sozialisiert wurden und werden, statt sich selbst sexuell verwöhnen zu lassen. Nach wie vor publizieren Frauen- und Männerzeitschriften sehr frauenfeindliche Botschaften. Jahrelang auf den Prinzen vorbereitet, folgt die Enttäuschung spätestens im Bett. Er genießt den Orgasmus und sie täuscht ihn vor. Niemand bringt den Mädchen bei, wie ihr Körper sexuell funktioniert, wie man welche Lust befriedigt. 

Wie „Untenrum und Überbau“, individuelle Sexualität und gesellschaftliche Normen zusammenhängen, erklärt Margarete Stokowski anhand der Nachkriegszeit. Während es in Asien eine lange Tradition der „ars erotica“ gibt, sorgte im Westen die Kirche für Prüderie und unnötige Scham. Sozialer und sexueller Konservatismus, Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit allem voran, sollten nach dem Krieg die gewohnten Rollenbilder das Chaos des Krieges vergessen lassen. Der plakative Machospruch „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“ beweist, dass die sexuelle Befreiung der 68er Jahre noch lange keine Gleichberechtigung der Geschlechter, brachte, setzte aber dennoch einen wichtigen Denkprozess in Gang, der allerdings in der Regel  beim ersten Kind in einer Retraditonalisierung der Frauen endet. Das Untenrum, der Sex, kann nicht frei sein, wenn das Obenrum, das eigene und soziale Selbstverständnis, durch Rollenklischees und Schaufensterpuppenoptik eingeengt wird.

Frauen werden angeherrscht, Männer jovial behandelt. Ziel ist aber ohne Normierungen selbstbestimmt zu leben. Deshalb müssen Frauen ihre Stimme erheben, statt zu schweigen. Dann treten sie aus der Opferrolle heraus und werden Teil der feministischen Bewegung. 

Im Feminismus spiegeln sich Political Correctness, Respekt, Präzision, Höflichkeit und die Anteilnahme am Leben anderer Menschen. Ohne Verhaltensveränderungen der Männer bleibt der Feminismus allerdings auch in Zukunft Stückwerk.

„Wichtig ist zu reflektieren, wo im eigenen Handeln die Reste von dem, was man abschaffen will, vorhanden sind, und selbst dagegen radikal vorzugehen, nicht wie ein platt machender Panzer, sondern mit einer Motorsäge den Wald ganz bewusst zu durchforsten, was stehen bleiben kann, was nicht.“

Margarete Stokowski, geboren 1986 in Polen, lebt seit 1988 in Berlin. Sie studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet als freie Autorin. Ihre wöchentliche Kolumne «Oben und unten» erscheint seit 2015 bei „Spiegel Online“2019 wurde sie für ihre Texte mit dem Kurt-Tucholsky-Preis ausgezeichnet.

Buchrezension Margarete Stokowski "Unterum frei" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Margarete Stokowski©Rowohlt Taschenbuch Verlag 

Margarete Stokowski „Untenrum frei“, Rowohlt Verlag, Hamburg 2016, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 16. Auflage 2020, 252 S.