©Literaturverlag Droschl
Sophonisbe nutzt die Ausschüttung ihrer Aktiendividenden, um abseits der konventionellen Reiseführer ein neues New York zu entdecken. Sie lässt sich treiben, erforscht die Stadtviertel, erlebt die Folgen der Gentrifizierung, auf einer märchenhaften, fast halluzinatorischen Party von Beyoncé die Pracht von Luxus, wo sie auch Josh kennenlernt, der die Geschichte der Ukraine erforscht, doch letztendlich immer das tut, was von ihm erwartet wird, nur „Echo“ seines selbstverliebten Umfelds ist, nie selbstbestimmt auftritt, aber gerade dadurch den Zeitgeist spiegelt, auf den der Titel des Romans zielt. Sophonisbe dagegen ist schon längst einen Schritt weiter. Sie lebt authentisch ihr Ich und analysiert die Rollenträger um sich.
Doch auch sie schwebt auf der Party wie im Märchen in einem Glücksrausch von Schönheit und Ästhetik und erlebt dabei wieder eine Lektion, “daß Dichtung großartig ist und die Wirklichkeit platt, anstrengend und blöd, und dass es viel schöner ist, sich etwas auszudenken, als es in die Tat umzusetzen.“ Manhattan, Brooklyn sagen ihr indes deutlich „not for you, not for you, nur für die Reichen!“ Unrenovierte Häuser und lässige Menschen sind die Ausnahme, sozusagen „Übriggebliebene“. Wer sich ein Zimmer mieten kann, ist schon halbetabliert. Oft reicht es nur für ein Sofa als Schlafplatz. Die Natur, der Himmel, gerade vermessen zwischen den Häuserschluchten, sind kaum sichtbar, es sei denn man neigt den Nacken ganz nach hinten.
Sophonisbe hat den Echo-Modus der Wiederholungen und Spiegelungen, nie etwas zu sagen, was nicht schon gesagt worden wäre, längst zurückgelassen und erlebt umso deplazierter New York. Als sie einen alten Schulfreund wieder trifft, über den und dessen sympathische Frau sie das luxuriöse Leben kennenlernt, verstört sie der knallharte Kapitalismus dieser Stadt noch mehr. Sie reist nach Berlin.
Berlin ist anders, keine Stadt zum Gehen, sondern wegen der Weite eine Stadt zum Fahrradfahrern. In Berlin leistet man noch Widerstand. Es wird noch um jedes Haus gekämpft, wiewohl auch hier die Gentrifizierung voll im Gang ist und sie nur durch Beziehung ein luxuriöses Untermieterdomizil bekommt. Roxana, die Besitzerin der Wohnung, bekannte Ratgeber-Autorin und schnell Sophonisbes Freundin, verbannt alle Spiegel, die sie als Unheil des ganzen Schönheitskults ansieht. Für Roxana sind sie „die Geißel der Menschheit“. Im Spiegel sieht man nur sein starres Fotogesicht ohne Mimik, die „Zurichtung der Frauen“ und inzwischen auch der Männer. Narziss hätte lieben können, wäre er nicht ein Gefangener seines Spiegelbildes geworden.
Ausgerechnet Roxana, die sich erklärtermaßen dafür interessiert, wie Kommunikation funktioniert, verliebt sich in Josh, diesen Echo-Typ unserer Tage, der nur nach den Normvorstellungen funktioniert und zu keinerlei Komnunikation fähig ist, aber Roxanas längst verdrängte Spiegelungen der Jugend als erneute Liebessehnsucht zum Leben erweckt. Roxana dreht sich um sich selbst, um ihr Alter, das selbst durch alle Tricks kosmetischer Möglichkeiten nicht dauerhaft zu verstecken ist, unfähig diese Liebe zu lieben, die nichts anderes ist als die Projektion einer früheren Liebe, der sie sich stellen will, um ihre eigene Projektion von sich selbst zu erhalten.
Durch dieses geschickte Lavieren der Figuren zwischen Ernst und Ironie, Mythos und Realität, Klischee und Kritik wird Iris Hanikas Roman „Echos Kammern“ zur amüsanten Unterhaltung mit Tiefgang, wenn auch die Klischees ihrer Figuren schon extrem dick aufgetragen sind, die Autorinnen durch Glücksfälle wie in einer Seifenoper immer in sehr gut situierten Situationen leben können, ihre Bücher durchwegs erfolgreich sind und die dargelegten Probleme imgrunde keine neuen Weltsichten bringen.
Der Großstadtroman endet mit einer realistisch analysierten Liebesgeschichte mit „jugendlichem Kram“ wie Sophonisbe das beschreibt, den sie zugleich im Narziss-Mythos verankert und diesen dabei neu aus der Perspektive Echos interpretiert, aber eben nicht aus der Welt schaffen kann. Das Fazit ist deshalb eher deprimierend. „Alles begriffen, alles gesagt, was soll da noch kommen, da kommt doch nichts mehr“. Oder doch? Roxana steigert noch mehr ins Negative, wenn sie dazu auch Rilkes Zitat etwas verändert. „Ein Mensch ist keine Wunscherfüllung, …ein Mensch ist des Schrecklichen Anfang.“
Die Frage Iris Hanikas Miniprologs an einen Lehrer (1936), ob es etwas auf der Erde gibt, das Bedeutung hätte und sogar den Gang der Ereignisse ändern könnte, nicht nur auf der Erde, sondern auch in anderen Welten, bleibt unbeantwortet.
Iris Hanika©Alberto Novelli (Villa Massimo)
Ihr umfangreiches Werk, u. a. die Erzählung „Katharina oder die Existenzverpflichtung“ (Fannei & Walz, 1992), „Treffen sich Zwei“ (2008), „Beton“ (2012), „Wie der Müll geordnet wird“ (2015), alle drei im Literaturverlag Droschl) bescherten der Autorin zahlreiche Preise, darunter den Hans-Fallada-Preis 2006, den European Union Prize for Literature 2006 und den Hermann-Hesse-Literaturpreis 2020.
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Iris Hanika „Echos Kammern“, Literaturverlag Droschl, Graz 2020. 2040