Florian Illies „Liebe in Zeiten des Hasses, Chronik eines Gefühls von 1929 -1939“

Buchrezension "Liebe in Zeiten des Hasses" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

© S. Fischer Verlag GmbH

Ganz kurz, prägnant sachlich zusammengefasst lässt Florian Illies hetero- und homosexuelle Liebesbeziehungen aufleuchten, in denen sich der Zeitgeist entfaltet, ohne dass er beschrieben wird, freilich nur für Leser, denen die zahllosen Namen der AutorInnen, KünstlerInnen, SchauspielerInnen und SängerInnen ein Begriff sind. Aufgelistet im Anhang sind die Minibiografien nochmals quer zu lesen. Anfangs beginnt das Staccato der Liebessequenzen etwas zu befremden und zu langweilen, aber das Bewusstsein, diese Menschen durch die Kunst, Literatur und Politik zu kennen, macht neugierig und sie beginnen in ihren Bann zu ziehen, zumal manche Geschichten weitergesponnen werden, gleichzeitig die sich abzeichnende politische Katastrophe auf eine ungewöhnlich sexuelle Freiheit und Genusssucht trifft. 

Wer das Buch liest, fühlt sich wie in einem Film. Man kennt die Menschen durch ihre Bücher, Bilder, Filme, Berichterstattungen und entdeckt doch neue überraschende Facetten. Man erlebt über den Hintergrund der nationalsozialistischen Machtergreifung die Tragweite des Horrors. Während der Hass Europa überzieht, steht in den persönlichen Beziehungen die Liebe im Vordergrund, wobei die bisexuellen Amouren Marlene Dietrichs, ihr mondänes Leben  und ihre politische Ignoranz genauso wie der Familien-Clan um Klaus Mann mit seiner unglücklichen Liebe zu Gründgens immer wieder aufleuchten. 

Während Marlene Dietrich in den USA ihre Geliebte abserviert, emigriert eine Reihe von Liebespaaren wie der Maler Grosz und seine Frau. Für Gründgens beginnt die Theaterkarriere, der exzellente Kritiker Kerr verlässt Deutschland, ebenso wie der  Schriftsteller Roth „mit seiner lieben schwarzen Frau“. 1933 verwandelt sich die Welt. Es geht Schlag auf Schlag. Während der junge Privatdozent Dietrich Bonhoefer gegen den Glauben eines neuen Menschen wettert, marschieren die Nationalsozialisten mit Fackeln zum Brandenburger Tor. Nazis protokollieren bei Theateraufführungen mit.

Nach der ersten Schockstarre verlassen immer mehr Intellektuelle Deutschland, darunter Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Willy Brandt. Adenauer flüchtet ins Kloster. Es wird leer an den Treffpunkten der kritischen Intellektuellen. Der Kosmos der jüdischen und kommunistischen Emigranten wird immer dichter. Begegnungen im Ausland ermöglichen den Blickwinkel zurück, der Hölle entronnen zu sein. Nicht alle sind sicher. Arlosoroff, inoffizieller Außenminister der Jewish Agency und Vertreter der ausgewanderten Juden wird am Strand von Tel Aviv an der Seite seiner Frau am helllichten Tag erschossen. Als Grund vermutet man die Eifersucht Goebbels, dessen Frau Magda Quandt die Ex-Geliebte Arlosoroffs war. Josephine Baker, 1933 reichste Schwarzafrikanerin der Welt, igelt sich nach dem erlebten Rassismus in Wien in ihrer Villa bei Paris ein. Aby Warburgs größte Liebe emigriert vier Jahre nach dessen Tod mit dessen gesamter Fotosammlung und seinem „Bilderatlas Deutschland“ nach England, der erst in diesem Jahr, 2021, wieder in Berlin in einer großen Ausstellung zu sehen war. 

Florian Illies schreibt mit spitzer Feder und Esprit, dokumentarisch sachlich von denen, die sich trotz der politischen Situation lieben, nach 1933 immer öfter von denen, deren Ehe bzw. Liebesvermögen auf der Strecke bleibt. „Im Herzen nichts Neues“ dämmert Erich Maria Remarque mit seiner Frau auf dem Schoß in Porto Ronco in „größtem Wohlstand und auf kleinster Flamme“ vor sich hin. Hermann Hesse und seine Frau vereinsamen in ihrem Schweizer Haus mangels zu kleiner Träume. Annemarie Schwarzbach heiratet den homosexuellen Botschafter Claude Clarac und entschwebt im orientalischen Teheran ganz im Drogenrausch. Eine kleine Schar von Exildichtern um Heinrich Mann versucht bei Nizza für kurze Zeit durch Liebesgeschichten von einst das Schicksal der Emigration zu vergessen. Lion Feuchtwanger spielt in Sanary-sur Mer mit den Frauen, als sei der Nazi-Terror ganz weit weg. Sartre weiß mit seinen Verführungen nichts anzufangen und fühlt sich am wohlsten mit sich selbst. Viele setzen ihrem Leben freiwillig ein Ende.

Mit Kriegsbeginn wird die Situation noch krasser. Sophie Scholl geht in Widerstand, ihre Liebe Fritz Hartnagel nach Stalingrad. Er überlegt. Sie wird hingerichtet. Bruno Balz, als Homosexueller jahrelang gefoltert, entlässt man aus der Haft, damit er für die Nazi-Filme Songs komponiert. Mit seinen berühmtesten Liedern „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ und „Davon geht die Welt nicht unter“, beides Fehldiagnosen, endet „Liebe in Zeiten des Hasses“ entgegen der titelbedingten Erwartungshaltung, sehr sarkastisch.

© Mathias Bothor

Florian Illies wurde 1971 in Deutschland geboren. Er studierte Kunstgeschichte und Neuere Geschichte in Bonn und Oxford, war Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und der „ZEIT“, Verleger des Rowohlt Verlages, gründete die Kunstzeitschrift „Monopol“ und leitete das Auktionshaus Grisebach. Derzeit ist er freier Mitarbeiter der „ZEIT“ und freier Schriftsteller. 

Sein Roman „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ (2012/13) wurde ein Welterfolg und in 27 Sprachen übersetzt. Florian Illies begründete damit ein neues Genre, das der erzählenden Geschichtsschreibung, indem er historische private Momentaufnahmen zu einem mitreißenden Panoramabild der Geschichte verbindet. 

Buchrezension "Liebe in Zeiten des Hasses" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©S. Fischer Verlage GmbH

Florian Illies „Liebe in Zeiten des Hasses“, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2021, 432 S.