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Alexander Kekulé – „Der Corona-Kompass. Wie wir mit der Pandemie leben und was wir daraus lernen können“

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Alexander Kekulé – „Der Corona-Kompass. Wie wir mit der Pandemie leben und was wir daraus lernen können“

©Ullstein-Verlag

Als Basis jeglichen Verständnisses begibt er sich auf eine Reise vier Milliarden Jahre zurück in die Welt, als sich das Leben durch die Teilung der Urzelle durch RNA-Kopien entwickelte. In die Parallelwelt der parasitären Viren wird das Eindringen in den menschlichen Körper „ein Sechser im Lotto“. Wie einen Krimi beschreibt Kekulé den Kampf der körpereigenen Immunabwehr gegen die Killerviren. Spezielle Virendetektoren entwickeln das Abwehrzykotin Interferon. Gleichzeitig rücken dentritische Zellen als Streifenwagen an, die die fremden Viren prüfen und bei Bedarf noch mehr Interferon produzieren. Damit sich die infizierte Zelle nicht ausbreiten kann, werden sie von Makrophagen und Granulozyten „aufgefressen“. 

Sars-CoV-Viren unterbinden die Interferon-Bildung und breiten sich dadurch sehr schnell aus. Die Fresszellen greifen zu spät an und produzieren dann immer mehr Fresszellen, die über das infizierte Gewebe herfallen und für einen vollkommenen Zusammenbruch der betroffenen Organe sorgen.

An den Epidemien von Ebola, Aids, Vogelgrippe und Spanischer Grippe zeigt Kekulé, wie sich das Virenverhalten veränderte, die inzwischen ohne animalische Zwischenwirte direkt auf den Menschen übergehen können. Schon 2002 wurde der Sars-CoV infizierte chinesische Lungenarzt Liu Jianlung in einem Hotel durch die stickige Luft in den Gängen zum Superspreader, zu 80 % verantwortlich für 1755 Erkrankungen und 299 Todesfälle. Trotz Deklaration als Pandemie durch die WHO wurde dieses Phänomen von den meisten Wissenschaftlern nicht ernst genommen, ebenso wenig wie MERS-CoV, der von Dromedaren auf Menschen übertragen wurde, aber auf die Arabische Halbinsel beschränkt blieb. 

Sehr kritisch sieht Kekulé die WHO, die trotz dieser Vorfälle und der zunehmenden Globalisierung, des international immer stärker werdenden Reiseverkehrs und der explodierenden Migrationsströme keinerlei Vorsorge für den Fall von Pandemien getroffen hatte. Trotz Aids, Vogelgrippe und Sars-CoV fehlten immer noch Konzepte für die Vorbereitung in Bezug auf Schadenbegrenzung, Reaktionsfähigkeit und Resillianz in der Pandemie. Sehr anschaulich erklärt Kekulé durch koloniale Beispiele den Reproduktinsfaktor und die Situationen von Superspreadern, wenn Schutzmasken und Social Distancing fehlen. 

Inzwischen ist die Forschung so weit, dass sie von einem Zwischenwirt ausgeht. Kekulé vermutet, dass dies Tiere wie Marderhunde in Pelzfarmen sein könnten, aber dazu gibt es noch keinerlei Forschungsergebnisse. Die Frankenstein-These, dass ein chinesischer Wissenschaftler das Sars-CoV-2 manipuliert habe, verweist Kekulé genauso in den Bereich medialer Verschwörungstheorien wie die Laborunfall-Hypothese, das Virus habe sich in China über ein Labortier an den Menschen angepasst und sei außer Kontrolle geraten. 

Kritisch stellt Kekulé die Risiken der verschiedenen Impfstoffarten dar. Seiner Meinung nach sei die Virengefahr noch lange nicht vorbei. Dass manche Länder gut, andere schlecht durch die Pandemie gekommen sind, liegt allein an der Vorbereitung auf den Ernstfall, der Reaktionsschnelligkeit und der Schadenbegrenzung durch effektive Versorgung der Erkrankten. Thailand und Taiwan führten sofort Grenzkontrollen, Quarantänen und Maskenpflicht ein. Uruguay schloss die Schulen, stellte Massentests zur Verfügung und die Bevölkerung zeigte sich durch das Tragen von Masken solidarisch. In zweieinhalb Monaten bekam China, Ground Zero der Epidemie, mit 53 Millionen infizierten auf einer Fläche halb so groß wie Deutschland durch eine konsequente Absperrungspolitik und extrem schnell erstellte Krankenhäuser und Intensivstationen die Krise in den Griff. Auch späteres Aufflammen der Pandemie wurde durch drakonische Quarantänen schnell wieder eingedämmt.

Dagegen funktionierte der erste Lockdown light in Deutschland nur bedingt. Im Herbst waren immer noch keine neuen Konzepte außer des Lockdowns in Sicht, was die Bevölkerung zermürbte. Kekulé plädiert statt für gesamtgesellschaftliche Maßnahmen auf der Basis des Reproduktionsfaktors auf das Maßnahmenpaket SMART, das auf individuellen Schutz ausgerichtet ist, auf Schutz der Risikogruppen, Masken im Alltag, aerogene Übertragungsvermeidung, reaktionsschnelle Nachverfolgung. 

In der Pandemie sieht er eine große Chance, endlich die unerlässliche Lektion zu lernen im Hinblick auf Lebensstil, Lebensgewohnheiten und den Umgang mit dem Klimawandel. „Corona hat die Menschheit gelehrt, das vorhergesagte Katastrophen irgendwann tatsächlich eintreten“. Veränderungen können aber nur erfolgen durch individuelles Verantwortungsbewusstsein, Solidarität und Anpassungsfähigkeit. 

Professor Alexander Kekulé, Arzt, Biochemiker und Publizist ist seit 1999 als Hochschullehrer Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und gleichzeitig Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle.

Alexander Kekulé - „Der Corona-Kompass. Wie wir mit der Pandemie leben und was wir daraus machen“ präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Ullstein-Verlag

Alexander Kekulé – „Der Corona-Kompass. Wie wir mit der Pandemie leben und was wir daraus machen“, Ullstein Verlag, Berlin 2020, 352 S.