„Mondnacht“, Turner, ©Tate London, Foto: Michaela Schabel
Joseph Mallord William Turners künstlerische Entwicklung ist für seine Zeit sehr ungewöhnlich, zumal er 30 Jahre lang, von 1807 – 1837, als Professor für Perspektive an der Londoner Royal Academy lehrte, ein Fach, das alle Studenten neben Malerei, Skulptur, Architektur und Anatomie zu belegen hatten. Seine Vorlesungen veranschaulichte er mit großen Zeichnungen, Diagrammen und Aquarellen, die in der Ausstellung ebenfalls zu sehen sind. Um Effekte der Perspektive zu veranschaulichen bezog Turner Architektur, Licht und Farbe mit ein. Als junger Mann zeichnete er schon für Architekten und Topografen. Auf seinen Reisen durch England, Wales und Schottland, nach den Napoleonischen Kriegen auch durch Frankreich, Belgien, Italien und den deutschsprachigen Raum skizzierte er seine Eindrücke pausenlos. Unter freiem Himmel, teilweise in Booten entstanden neben Zeichnungen bereits Aquarelle und Ölskizzen. Er interessierte sich für raue Landschaften, die über den Publikumsgeschmack hinausgingen und experimentierte mit den Konventionen der traditionellen Landschaftsmalerei, indem er Naturwissen, Mythen und Geschichte unter Verzicht auf die historische Detailtreue in seine Landschaftsgemälde integrierte. Licht und Farbe wurden immer wichtiger, wodurch sich Wahrnehmungsgrenzen verschoben. Es ging immer weniger um die Abbildung realer Landschaften, vielmehr um Natur- und Lichtstimmungen, was viele Zeitgenossen konsternierte. Ölfarbe begann er auf hell grundierte Leinwände zu setzen, wodurch er ähnlich wie beim Aquarellieren durchscheinende Effekte erzielen konnte, womit er Schritt für Schritt zum „Maler des Lichts“ avancierte. Mit seinen sonnendurchglühten Venedigbildern schuf er ein völlig neues Image dieser Stadt. Landschaft und Bauten an der südfranzösischen Küste glühen im Abendrot. In anderen Bildern wie dem „Lake Lucerne“ ist nur noch durch den Titel die geografische Zuordnung möglich. In Bildern wie „Sunset“, „Three Seascapes“ oder „Snowstorm“ nimmt Turner die abstrakte Moderne vorweg.
„Sunset“, Turner, ©Tate London, Foto: Michaela Schabel
Über Turners zeitgenössische Rezeption kann man sich in der eigenen Raumkapsel informieren. Obwohl für den Besuch Zeitfenster zu buchen sind, wird es in der Ausstellung zuweilen etwas eng. Aber Turner in seiner ganzen Bandbreite zu erleben ist ein besonderes Ereignis, möglich durch die Kooperation mit Tate Britain, London möglich, die Turners reichen Nachlass bewahrt, und durch die kluge Kuration von Karin Althaus und Nicholas Maniu.
Zur Ausstellung wurde in der Edition des Lenbachhauses „Turner. Ein Lesebuch“ mit Texten aus rund 200 Jahren publiziert. Die Ausstellung „Turner. Three Horizons“ ist im unterirdischen Kunstbau im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Königsplatz vis-á-vis des Lenbachhauses noch bis 10. März zu sehen.