„Extra Natural“, 2023 Miguel Chevalier©Miguel Chevalier
Zum ersten Mal beschäftigt sich eine Ausstellung mit der Kulturgeschichte der Blumen. In einem aufwendig inszenierten Parcour mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten werden 170 Werke aus internationalen Sammlungen und eigens für die Ausstellung konzipierte Installationen präsentiert. Von Jan Brueghel bis Andreas Gursky, von Rossettis rosenumflorter „Venus“ bis zu Miguel Chevaliers virtueller Welt „Extra Natural“ kommen Arbeiten der Kunst- und Designgeschichte mit zeitgenössischen Ansätzen in Dialog.
Sehr gelungen kuratiert entwickelt jeder Raum eine eigene Aura, in der man fühlt, wie inspirierend Blumen auf den Menschen wirken. Die Themen sind an sich nichts Neues, aber die Vernetzung „Zwischen Natur und Kultur“, von „Sagenhaften Blumen“ oder „Blumen des Glaubens“ mit Erklärungen neben jedem Werk eröffnet doch immer wieder überraschende Aspekte und Facetten. Man beginnt die Symbolkraft der Rose im Christentum und im Islam zu vergleichen oder über die Nelke als Ausdruck revolutionären Kampfgeistes zu sinnieren.
In der Gegenüberstellung von „Kunst und Wissenschaft“ vermittelt sich die Wechselwirkung von analytisch präziser Forschung und dekorativ künstlerischer Weiterentwicklung. Eine simple Kresseblüte, bei der das Erbgut zum ersten Mal analysiert wurde, verwandelt sich in 100-facher Vergrößerung von Stefan Eberhards rasterelektronenmikroskopischer Aufnahme zu einem faszinierenden Kunstwerk.
„Arabidopsis Thaliana“, 2011, Stefan Eberhard© Stefan Eberhard
Im großen Ausstellungsraum stoßen traditionelle Werke, Wandteppiche, blumenbemalte Vasen markant auf moderne Lichtinstallationen der 1960er Jahre. Otto Pienes „power flower“ (1967), eine Kombination von Blume und Energie weitet sich in diesem Kontext zur Metapher für die Ausstellung.
In Erinnerung bleiben einzelne Bildmotive, die gesellschaftliche Klischees hinterfragen. Erwin Olafs Fotografie „Tulpen“ verbindet z. B. durch einen großen fragilen „Tulpenstrauß“ (1986) in den Armen eines tätowierten Bodybuilders männliche Kraft und Zartheit, Jugend und zugleich assoziativ ihre Vergänglichkeit. Owanto nutzt Mädchenaufnahmen aus Französisch-Äquatorialafrika der 1940er Jahre, um auf die genitale Verstümmelung und Entwürdigung der Frauen hinzuweisen, indem sie die Gesichter mit Porzellanrosen bedeckt.
„Kostbare Blumen“ thematisieren die Tulpenmanie im 17. Jahrhundert, über Vasen und Möbel deren Auswirkung auf das Konsumverhalten. Anna Ridler schlägt mit ihrer 3-Kanal-GAN-Videoinstallation „Mosaikvirus“ die Brücke von den Tulpenzwiebeln zu Bitcoin, beides Objekte extremer Spekulationen. Rebecca Louise Laws „Calyx“ (Blütenkelch), eine Installation aus 20000 vertrockneten Blütenblättern zum Durchspazieren entlässt als Abgesang der malträtierten Natur den Zuschauer am Schluss nachdenklich in den Alltag.
München – „Flowers Forever, Blumen in Kunst und Kultur“ in der Münchner Kunsthalle ist noch bis 27. August täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen.