©Bill Brandt
Bill Brandt war nie rein dokumentarisch. Durch ungewöhnliche Perspektiven, das Spiel von Licht und Schatten brachte er immer verfremdende Aspekte mit ein. Er verband den nüchternen Realismus mit irrationalen Phantasien inspiriert von den Kunstströmungen des Expressionismus und Surrealismus. Seine Fotografien vom Elend der einfachen Menschen bei der Arbeit wie beim Kohlesuchen wurden zu Ikonen der britischen Zeitgeschichte.
Bill Brandt war es, der den Engländern das rigid hierarchische englische Gesellschaftssystem sehr plastisch vor Augen führte, in dem Arm und Reich extrem aufeinanderprallten, junge Dienstmädchen in weißen Schürzen bei Fuß standen, Kinder wohl behütet ihre Geburtstage feierten, während Arme der Kälte der Nacht ausgesetzt waren, in desolaten Kneipen abhingen und Kinder unbeaufsichtigt auf den öffentlichen Plätzen spielten.
Gegliedert nach den verschiedenen Genres, eine markante Fotografie jeweils wandgroß aufgezogen wird das Lebenswerk Bill Brandts sehr struktuiert vermittelt.
Beeindruckend ist für die damalige Zeit sein sozial dokumentarischer Blick auf das Elend der industriellen Verödung, die Nöte des Krieges, als Menschen massenweise in der Untergrundbahn schliefen oder zuweilen, ironisch königlich ganz allein, in einem Sarkophag in der Kirche.
Bill Brandts Porträts bilden eine Galerie von literarischen und künstlerischen Persönlichkeiten, die er immer in einem für sie ganz typischen Umfeld fotografierte, konzentriert bei der Arbeit, bizarr nur den Kopf über der Mauer, geheimnisvoll das Gesicht hinter Gitterstrukturen oder vor schräger Laterne in einer Parklandschaft.
„Francis Bacon on Primerose Hill“@Bill Brandt
In den 1960er Jahren reduzierte Bill Brandt die Porträts allein auf die Augen. Henry Moores Pupille glitzert vielschichtig. Andere Augen wirken faltig wie die eines Reptils.
Über die Beobachtung von Steinen und Felsen am Meer kam Bill Brandt zur Aktfotografie. Die Formationen am Strand erinnerten ihn an Körper. Durch Vergleiche von Landschaftsbildern und Aktfotografien wird diese Affinität deutlich hervorgehoben. Bill Brandt begnügte sich nicht mit dekorativen Akten. Er fotografierte aus raffinierten Perspektiven, verschiebt die Proportionen, verlängert so Arme und Beine.
@Bill Brandt
Raffiniert gespiegelt gelingt ihm eine Frau mit zwei Köpfen. Der Fokus auf einzelne Körperpartien wirken Akte zuweilen wie abstrakte Fotografien, absolut innovativ für die damalige Zeit.
Genauso wenig ging es ihm bei den Landschaften um eine möglichst naturgetreue Ablichtung. Das Wesentliche einer Landschaft faszinierte ihn, oft kombiniert mit Kulturdenkmälern in freier Natur. Wenn er ein Motiv gefunden hatte, das ihn inspirierte, wartete er auf die richtige Jahreszeit, das richtige Wetter, die passenden Lichtverhältnisse, auf den für ihn absolut richtigen Moment. Wie ein Vulkanwulst zieht sich der Limes über eine Hügelkette. In anderen Aufnahmen verwandelt sich der nächtliche Wald in ein wild romantisches Gemälde oder Flussmäander in ein abstrahiertes Formspiel.
Erhellend sind im finalen Raum die Gegenüberstellungen gleicher Fotomotive in unterschiedlichen Abzügen. Für Bill Brandt war das Entwickeln ein Teil seiner Kunst, wobei er Stimmungen oft zusätzlich verdüsterte, zuweilen auch immer wieder Details mit schwarzer Tinte wegretuschierte und damit seine eigenen Arbeiten manipulierte.
Bill Brandt (1904-1983) wurde als Sohn eines britischen Vaters und einer deutsch-russischen Mutter in Hamburg geboren. Er war ein schwächlicher junger Mann und kam nach Sanatoriumsaufenthalten in Davos über Wien nach Paris, wo er den Dichter Ezra Pound und die Surrealisten im Umkreis Man Ray kennenlernte. Erst 1931 ließ er sich England nieder. Er arbeitete als Fotograf und Fotojournalist für verschiedene Magazine, während des Zweiten Weltkriegs für das britische Innenministerium. Nach Kriegsende gab er den Fotojournalismus auf und wandte er sich der künstlerischen Landschafts-, Porträt- und Aktfotografie zu. In seinen letzten Lebensjahren lehrte er am Royal College of Art und organisierte und betreute Fotoausstellungen
Die Ausstellung „Bill Brandt“ ist im Kunstfoyer der Münchner Versicherungskammer Kulturstiftung, Maximilianstraße 23 ist noch bis 28. November zu sehen.