©Michaela Schabel
Wie begegnet man dem Rechtsradikalismus? Wie spricht und argumentiert man mit Rechtsradikalen? Diese Fragen treiben Esther Glück um. Seit 2020 schrieb sie Hunderte von Briefen an Akteure der rechten Szene, ohne sie zur Post zu bringen. Entstanden ist daraus eine in sich stimmige Rauminstallation mit Schriftzeichnungen und Kuben, gefüllt mit zerrissenen Briefen, einem überdimensionierten Briefpaket und einem Schriftvideo. Gemeinsamer Nenner ist, dass man diese mit Bleistift geschriebenen Briefe nicht entziffern kann. Man möchte die Sätze lesen, aber kaum geschrieben, radiert Glück sie wieder aus, schreibt darüber, radiert wieder, bis sich die Oberfläche zum Relief wellt, das Papier malträtiert und zerschunden wirkt und sich in eine Metapher der eigenen Hilflosigkeit und Wut verwandelt, in der gleichzeitig auch das Leid der Opfer spürbar wird. Meist quadratisch angeordnet bekommen die Briefe eine verblüffend körperliche Haptik. Manche werden dunkel ins Grauschwarze verdichtet zum Ausdruck von Verzweiflung, andere sind fast ausradiert nur noch schemenhaft wahrnehmbar, so dass die Opfer hinter dem Rechtsradikalismus assoziierbar werden. Einzelne Buchstaben, einige Nachsilben kann man entziffern, mehr nicht. Die Briefe sind ein Appell an den Betrachter. Was hätte er zu schreiben?
©Esther Glück, Foto: Michaela Schabel
Die Titel „über die Blendung“, „über die Unfassbarkeit“, „über Sinn und Zweifel“, „über die Sprachlosigkeit“, „über die Lüge“ offenbaren die emotionale Betroffenheit der Künstlerin, erklären die formale Gestaltung der Briefe und verweisen gleichzeitig auf die Methode rechtsradikaler Akteure, die Menschen durch die Ideologisierung der Sprache zu manipulieren.
So vage die Briefe auch sind, die Adressaten sind zuweilen klar benannt. An Björn Höcke ist das große Paket „verpresst und verschnürt“ voller Fragen gerichtet. Glücks Methode des Überschreibens wird in einem Video-Loop an Alice Weidel lebendig. Glück sucht nach adäquaten Formulierungen, die immer nur bruchstückhaft fassbar werden, um gleich wieder zu entschwinden.
Die Installation besticht, weil Glück die eigenen Gefühle, die eigene Fassungslosigkeit offenlegt und damit den Betrachter sehr empathisch auf die Problematik des Rechtsradikalismus verweist, ohne ihn zu belehren.
Die Ausstellung „Letters to a Right Radical, never written“ ist in der Landshuter Rochuskapelle noch bis 8. Juni zu sehen.
Esther Glücks gezeichneter Kunstfilm in Stop-Motion-Technik „Father_Land_Scape“ wird im LANDSHUTmuseum noch bis Ende des Jahres gezeigt. Der Film erzählt die Geschichte des 13-jährigen Abba Naor (*1928 in Litauen) nach, der während der Nazizeit in einem Ghetto zur Zwangsarbeit verurteilt wurde, wobei das Zeichnen als Prozess mitverfolgt werden kann und das Ausradieren wieder eine ganz zentrale symbolische Kraft entwickelt.