"Kultur macht glücklich"


Berlin – „Die Deutschen des 21. Jahrhunderts“ – fragwürdige Foto-Installation von Oliviero Toscani am Potsdamer Platz

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Berlin – „Die Deutschen des 21. Jahrhunderts“ – fragwürdige Foto-Installation von Oliviero Toscani am Potsdamer Platz

©Oliviero Toscani, Michaela Schabel

Wohl kaum, denn Berlin ist ohnehin die deutsche Ausnahmestadt schlechthin, eine Stadt, in der im ständigen Werden und Vergehen mit flotten Sprüchen auf öffentlichen Mülleimern und Bussen, Schulklassen, in denen mitunter kaum zwei Kinder die gleiche Sprache sprechen ist multikulturelles Miteinander je nach Kiez längst Lebensalltag.

Statt fröhlicher Kinder in bunten Pullovern präsentiert Oliviero Toscani jetzt Erwachsene in Schwarz-Weiß. Den Blick ernst auf die Kamera gerichtet, signalisieren sie Dialogbereitschaft mit dem Betrachter. Doch was  als Kunstobjekt um multikulturelle Integration verstanden werden will, ist im Grunde eine gekonnte Werbung für das Versicherungsunternehmen Generali,  auch für Berlin als multikulturelles Aushängeschild Deutschlands und für eine idealisierte Weltgemeinschaft, die keine Probleme kennt.

Ausstellung "Die Deutschen im 21. Jahrhundert" Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Oliviero Toscani, Michaela Schabel

Trotz beabsichtigter Horizonterweiterung und Heile-Welt-Visionen rücken tief sitzende Klischees ins Bewusstsein, wenn helle Haare und Augen an arisches Unheil erinnern, ein dunkler Typ mit Rastahaaren die Gräben kultureller Entwicklungsstufen aufleuchten lässt. Toscanis kulturelle Vielfalt spart die Problematik der kulturellen Übergewichte und Unvereinbarkeiten aus, die gerade in Berlins Brennpunkten wie Neukölln vollkommen überfordert und ständig mit den Grenzen des Machbaren konfrontiert. Die plakative Wucht dieser Installation lässt umso mehr die Spannungen zwischen multikultureller Übermacht und nationaler Identität aufleuchten.

Für Giovanni Liverani, CEO von Generali Deutschland, ist dieses Projekt „eine Hommage an Deutschland, ja an die gesamte Menschheit“. Er spricht von einem „neuen Humanismus“, der notwendig ist, weil soziale Ungleichheiten zunehmen, wodurch sich das Versicherungsunternehmen wiederum als Instanz in den Mittelpunkt rücken kann, die Lebensumstände zu verbessern. Das ist edel gedacht, doch die Realität sieht nicht nur in Berlin anders aus.

Ganz zu schweigen von Oliviero Toscanis Statement, er wolle die Deutschen sympathischer zeichnen als ihr Ruf ist. Er scheint noch in den Stereotypen seiner Jugendzeit verhaftet zu sein, als die Deutschen begannen sich mit ihrer braunen Vergangenheit auseinanderzusetzen und sich mit dem beginnenden Wirtschaftswunder als Touristen an der Adria nicht nur Freunde schufen. „Jeder, der nach Deutschland kommt, spürt sofort, dass es ein ganz anderes Land ist als das, was es einmal war. Die Vision Deutschlands ist fortschrittlicher als die der übrigen Welt. Das war der Gedanke hinter meiner Idee.“ Merkt Olviero Toscani erst jetzt, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung von BRD und DDR, wie sich Deutschland verändert hat?

Die Ausstellung „Die Deutschen des 21. Jahrhunderts“ schockiert nicht, sie provoziert zum Widerspruch. Insofern passt diese Installation wiederum sehr gut nach Berlin, die Stadt, deren Image sich immer schon aus der Provokation entwickelt hat.

Die Open-Air-Ausstellung „Die Deutschen des 21. Jahrhunderts“ ist noch bis 15. Juni am Potsdamer Platz zu sehen.