©Deutsches Theater Berlin, Arno Declair
Ulrich Rasche verzichtet dieses Mal auf mechanische Großbauten, metallische Zahnräder reduziert auf Lichtkreise und -ellipsen, die sich farb- und formsymbolisch verändernd den Grad der Faktenerhellung intensivieren, Handlungselemente, Personenkonstellationen, hierarchische Machtstrukturen zum Leuchten bringen, feurig rot den Untergang antizipieren. Er untermalt atmosphärisch durch einen dröhnenden Sound aus dem Orchestergraben, eine Mischung aus Instrumenten und Synthesizer, der sich vom dezenten Pulsieren über lyrische Klangspiele bis zu peinigenden Schlagwerkstaccatos aufbaut, dessen Schallwellen den eigenen Körper vibrieren lassen und das chorische Sprechen derart überfluten, dass man immer wieder auf das Lesen der englischen Untertitel ausweichen muss.
Das ist alles stimmig und hat fühlbare Energie zumal die SchauspielerInnen mit individuellem Stimmcharisma und enormer körperlicher Spannung Chor und Figuren wie Schattenwesen ganz in Schwarz aus dem dunklen Urgrund heraustreten lassen, sich aus der Choreografie lösend im alleinigen Weitergehen existentielles Ausgesetztsein verkörpern, allen voran Martin Harder als suchender Ödipus und Kathleen Morgeneyer als zerbrechlicher Teiresias.
©Deutsches Theater Berlin, Arno Declair
Trotzdem beginnt sich der Abend zunehmend zu schleppen. Zu bekannt ist diese Selbstsuche des Ödipus, dem die Götter als Baby bereits Vatermord und Inzest voraussagten. Ein Diener erbarmt sich des Kindes, gibt es in Pflege. So nimmt das Schicksal seinen Lauf, an dessen Ende die Stadt Theben gegen die Pest kämpft und Ödipus, über seine Herkunft aufgeklärt, sich selbst blendet und das Los des Heimatlosen auf sich nimmt.
Der Text, eins zu eins von Ulrich Rasche umgesetzt, lässt zwar über Handlungsmomente, das Gerangel um die Macht, manipulierende Prophezeiungen und die Seuche, nicht zuletzt durch apokalyptische Lichtspiele die Probleme unserer Zeit aufleuchten, verharrt aber in der individuellen Opfergeschichte eines Einzelnen, dessen Handeln durch den Einfluss der Götter gelenkt keinerlei Spielraum kreativen Gestaltens lässt. Nach wie vor bleibt Ödipus das Opfer mit einer Erbschuld, der er nicht entrinnen kann. Völlig nackt, schweigend steht er am Schluss auf der Bühne als Ausdruck existentieller Pein, aber eben nicht als Ergebnis sozial ausbeutender Machtstrukturen, sondern irrationalen Götterglaubens. Deren kosmische Lichtkreise senken sich ab, nehmen der Welt die Luft zum Atmen.
Auf eine Wendung mit Aha-Effekt wie bei Mark-Anthony Turnages Ödipus-Version „Greek“ an der Deutschen Oper, siehe www.schabel-kultur-blog.de/oper, wartet man im Deutschen Theater vergeblich. Statt Aktualisierung stehen bei Ulrich Rasche absolute Werktreue und die Intensivierung des Desasters im Vordergrund. Immer stärker schaukelt sich das sphärische Gedröhn hoch. Doch trotz der optisch-akustischen Effekte hinterlässt dieser „Oedipus“ nach drei Stunden ohne Pause ganz anders als beispielsweise Rasches Inszenierung „Das große Heft“ (2018 Dresden, 2019 Berliner Theatertreffen) den faden Nachgeschmack eines Mythos´, dessen Strahlkraft auf die Gegenwart verloren gegangen ist.
Künstlerisches Team: Ulrich Rasche (Bühne und Regie), Nico van Wersch (Komposition und musikalische Leitung), Toni Jessen (Chorleitung), Leonie Wolf (Mitarbeit Bühne), Clemens Leander (Kostüme), Cornelia Gloth (Licht), Marcel Braun, Marcel Person(Ton), David Heiligers (Dramaturgie)
Es spielen: Elias Arens, Manuel Harder, Toni Jessen, Kathleen Morgeneyer, Linda Pöppel, Yannik Stöbener, Enno Trebs, Julia Windischbauer, Almut Zilcher. Live-Musik: Carsten Brocker, Katelyn King, Špela Mastnak, Thomsen Merkel