"Kultur macht glücklich"


München – Ausstellung „Sweat“ im Haus der Kunst 

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München – Ausstellung „Sweat“ im Haus der Kunst 

©Michaela Schabel 

Christine Sun Kim visualisiert bereits am Eingang das Spiel von „Maybe“ (vielleicht) und „be here“ (hier sein) in einer neuen ortspezifischen Arbeit „May Be Here May To Be He Re“ durch ein synthetisches Spiel von Klang und Bewegung, durch Darstellungen aus Händen mit Symbolpfeilen, die sich zu einem rhythmisch kinetischen Muster verdichten. 

In der oberen Etage werden bunter Materialmix, leuchtende oder erdige Farbenvielfalt, skulpturale Körperlichkeit zum identitätsstiftenden Ausdruck im Sinne des kollektiven Gedächtnisses ehemaliger Kolonialländer. Zadie Xa verweist in großformatigen Meerbildern, die sie zeitsymbolisch mit Treibholz, Knöpfen, Stoff und Muscheln umrahmt, auf ihre südkoreanischen Vorfahren. In Pop-Art-Manier blicken sie aus der Brandung oder sitzen auf einem Felsen, der von den Wogen umspült wird. Sie scheinen vom Mythos des Matriarchats zu erzählen. Identitätsstiftend waren kolonial wie postkolonial vor allem die ritualisierten Tänze. Antonió Oles Film „Carnaval da Vitória“ (1978) zeigt die Dorftänze und die Karnevalsprozessionen in Luanda mit ihren Possen auf die Kolonialherren. Gleichzeitig wird in den rhythmisierten, sich ekstatisch beschleunigenden Tanzschritten Lebensfreude, Inspiration und spirituelle Transgression spürbar. Musik und postkoloniale Gesellschaftskritik spielen auch in den skurillen Figuren Daniel Lind-Ramos´ eine große Rolle. Seine Musikcombo aus Holz, Metall, Leder, Stoffen, desolaten Instrumenten und Sportschuhen scheint nur noch aus Fundstücken zusammengesetzt zu sein, die ihre Identität kaum noch aufrechterhalten können. Die Menschen haben alles verloren außer ihrer Musik und wirken à la Don Quijote wie Ritter der traurigen Gestalt einer vergangenen Ära. 

Ausstellung "Sweat" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Michaela Schabel 

Längst ist selbst „Der Siegreiche“ nur noch eine Karikatur mit amputierten Versatzstücken.

Den zweiten Schwerpunkt der Ausstellung bilden Protestkulturen, womit Künstlerinnen in Form provokativer Plakate, Collagen, Bilderserien vor rund 50 Jahren die Freiheit der Lust aus privaten Räumen in die Öffentlichkeit holten.

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Gleichzeitig werden aus verschiedenen Zeitepochen und Ländern feministische Ansätze gegenübergestellt. Die polnische Feministin Natalia LL (*1937) beschäftigte sich in den 1970er Jahren mit Pornografie. Die französische Künstlerin Tabita Rezaire (*1989) inszeniert ihren schwarzen nackten Körper in ihren Porträtcollagen aus trashigen Memos sehr selbstbewusst in verschiedensten Rollen vom Vamp bis zur spirituellen Göttin. Daniel Küblbeck (1985 -2018), Sänger und Provokateur aus Eggenfelden, einstiger Superstar Deutschlands, wird in einer dokumentarischen Videocollage zum Symbol für die gnadenlose Vermarktung bisexueller Menschen, zuerst hochgejubelt und stürmisch beklatscht, dann fallengelassen und ausgepfiffen. 

Wie Benachteiligungen durch geschlechtlich bedingte Rollenzuschreibungen und sexuelle Stereotypisierungen entstehen, wird durch Gegendarstellungen zu patriachalischen Strukturen deutlich. Der Körper degradiert beispielsweise bei Mary Beth Edelson zu erotisch parodistischen „Liebessitzen“ in Schweinchenrosa und Hautfarben. 

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Wie faszinierend schön und ästhetisch Sinnlichkeit sein kann, enthüllen Rosane Chamecki und Andrea Lerner in dem Video „Samba#2“. Sie zoomen auf die geschmeidigen Beckenbewegungen einer Sambatänzerin, deren glitzernder, mit Glassteinchen besetzter Fransentanga Erotik in irisierenden Lichteffekten in perfekter Ästhetik aufleuchten lässt.

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„Samba#2″Rosane Chamecki, Andrea Lerner (Video) ©Michaela Schabel

Pacita Abad schuf mit ihrem in Stoff gearbeiteten Wandteppich der Freiheitsstatue in leuchtenden Spektralfarben ein prachtvolles Symbol einer von gendermäßigen Stereotypen befreiten Gesellschaft. 

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„Freiheitsstatue“ Pacida Abad©Michaela Schabel 

Diese Freiheitsstatue ist gleichsam eine Vision und Weiterführung ihres Narrativs von der Unterdrückung der Frauen, die als  „Girls in Ermita“, alsSexarbeiterinnen im Rotlichtviertel von Manila, arbeiten. Die Zeiten des Klischees der „Superwoman“ sind vorbei. Der gleichgetitelte Song eines einsprechend sehr schlicht gehaltenen Musikvideos wird zum Ohrwurm. Die Frau von heute will weder Vamp noch ihre philippinische Version sein, sondern einfach nur ein Mensch.  

Die Ausstellung „Sweat“ ist im Münchner Haus der Kunst noch bis zum 9. Januar 2022.