© Kunstmuseum Reutlingen
Aus ausrangierten Möbel-, Bau-, Ausstattungsteilen, Abdeckungs- und Verpackungsmaterialen, Glas, Staub und Abfällen bei der organischen Lebensmittelherstellung baut Peter Buggenhout Objekte mit neuer Gegenständlichkeit und zuweilen mit besonderen Geruchsnoten. Das empfindet er weder als fiktiv noch als symbolisch. „Das, was ich mache, ist Realität“, erklärt er.
Doch trotzdem suggerieren seine Objekte Transformationsprozesse. Abfall bekommt unter seinen Händen eine neue Existenzialität und Aura. Seine Arbeiten wirken, egal in welcher Größe, in bizarren Formen und zuweilen schriller Farbigkeit wie materielle Verdichtungen unseres Lebensstils fern klassischer Vorstellungen von Schönheit und Ästhetik.
Seine Skulpturen erobern die Räume, entwickeln eine expandierende Aura, die sich nicht stoppen lässt, der man nicht ausweichen kann. Das Material verunsichert, wirkt zuweilen unappetitlich, die Farben fast giftig.
„Was das soll?“ fragt man sich und genau in dem Moment setzt die Hinterfragung unserer Realität ein, wodurch Peter Buggenhout ganz bewusst den Disput nach Änderungsmöglichkeiten provoziert.
© Kunstmuseum Reutlingen
In sechs Werkgruppen aus unterschiedlichen Material-Schwerpunkten mit bedeutungsschwangeren Überbegriffen differenziert Peter Buggenhout die „Bewusstseinszustände“ unserer Zeit. Die darin subsumierten Werke nummeriert er nur.
Bei „Gorgo“, dem Titel nach eine Anspielung auf die Mythen der Antike, genauer auf das abgeschlagene Haupt der Medusa, verwendet er mit Schweineblut getränkte Pferdehaare.Verborgenes im Innern wird nach Außen gestülpt, ein Prinzip, das er ab Mitte der 1990er Jahre immer häufiger wählt. Bei der Werkgruppe „Mont Ventoux“ nimmt er Bezug auf den kahlen, dominanten Berg in der Provence, Kultstätte der Kelten und Wirkungsort des humanistischen Dichters Francesco Petrarca. Dass Peter Buggenhout die Oberflächen aus Kuhmägen präsentiert, die eigentümliche Gerüche verströmen, führt drastisch vor, wie wir mit unserem geistigen Erbe umgehen. Gleichzeitig wird statt Transzendenz ins Jenseits die knallharte Materialisierung unserer Zeit deutlich.
Den Werkkreis „The Blind Leading the Blind“ bezieht er auf Pieter Bruegel den Älteren. Die Plastiken werden graphitgrauem Haus- und Industriestaub überzogen, wodurch sie wie Relikte von Katastrophen wirken.
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„On Hold“ ist dagegen relativ farbenfroh. Architektonisch verkeilte Strukturen mit eingeklemmten pneumatischen Elementen bringen alltägliche Abfallkonglomerate ins Bewusstsein.
Mit „I am the Tablet“ versinnbildlicht er Zeit in entgegengesetzten Richtungen. Marmor ist zunächst nur einfach Material. Herausgebrochen aus der Erde, geformt vom Menschen ist Marmor am längsten durch die Kunstgeschichte gewandert, vor allem als idealer Stein, um Nacktheit darzustellen. Peter Buggenhouts Materialien dagegen stammen aus der Gegenwart. Sie für die Zukunft zu konservieren ist ein Horror für jeden Restaurator, womit Peter Buggenhout durch seine Objekte raffiniert antipiziert, was in der Zukunft von der Gegenwartskultur noch übrigbleiben wird.
Die Ausstellung „Peter Buggenhout – nicht geheuer“ im Reutlinger Kunstmuseum ist noch bis 12. September zu sehen.