© Emma Szabó
Bettina Pommer konzipiert dazu eine markante bühnenbreite Rutsche für den „Sprung vom Elfenbeinturm“, Symbol sozialen Abrutschens im freien Fall und Hochkommens nur mit Hilfe von Seilschaften.
Chronologisch beginnt der Abend mit den Trümmerkindern als pures Gegenteil ihres gerüschten Prinzessinnen- und Prinzenoutfits in Rosa und Hellblau. Als parodistische Monster schrill, ausgestellt, durch Glasaugen entstellt agieren sie unter dem Bombenhagel als 120-prozentige Nazis, denunzieren Eltern, malträtieren Juden, schachern mit Waffen. Mord ist eine Selbstverständlichkeit.
© Emma Szabó
Als quietschbunte Plaste-Elaste-Figuren stilisiert entwickeln sie später nicht minder inhumane kapitalistische Strukturen als leeres Gequassel in Wiederholungsschleifen unerträglich analog den gesellschaftlichen Prozessen.
Nach diesen ersten beiden Spektakel-Szenen ohne tiefere Berührungspunkte nach Romanauszügen von „Fliegeralarm“ und „Heilig Blut“ fokussiert Pinar Karabuluts Inszenierung über eine Textcollage von Erzählungen, Essays und Interviews im Rahmen einer Gameshow auf die Schriftstellerin. In unterschiedlichsten Sequenzen erscheint Gisela Elsner, von verschiedenen Schauspielerinnen exaltiert, ganz nah durch ihre Kernaussagen sehr satirisch distanziert, in Szene gesetzt. Mit Humor reagiert sie auf die altbackenen, klischeebefangenen Fragen und beharrt darauf „dass die Freiheit in dieser Gesellschaft nicht mehr definierbar ist“ und der Sozialismus die einzige Lösung. Ihre Lieblingsfarben sind Schwarz und Weiß, ihr Lieblingskomponist ist „geräuschlos“. Auch Gisela Elsner wusste um die Qualität der Satire. Zwischendurch wird szenisch performt. Wie dressierte Wildpferde hopst ein Duett über die Bühne. Eine in jeder Disziplin scheiternde Olympionikin hat bei brennendem olympischem Feuer im Laufrad medaillenumhangen anscheinend unter äußerstem Leistungsdruck bis zum Orgasmus ihr Ziel erreicht, mit die gelungenste Szene zum Thema Feminismus und Elsners Appell zum rigorosen Weiterkämpfen.
Der Blick durch die Kamera enthüllt per exzellentem Video (Su Steinmassl) nicht nur die sexuellen Phantasien als Ventil bürgerlicher Lügen und Kompromisse nach Elsners Roman „Berührungsverbot“, sondern auch ihren Hang zum Hedonismus. Die wilde Party, die in einer Orgie mit fadem, unbefriedigtem Nachgeschmack endet, zeigt nur einmal mehr männliche Dominanz, die echte Freiheit untergräbt. Final steht Frau nicht nur im Regen, sondern im Wolkenbruch, allein, wie anfänglich heroisch monologisierend.
© Emma Szabó
Der intensive Applaus ist den SchauspielerInnen geschuldet. Die Inszenierung enttäuscht. Zu schrill, zu bunt, zu showmäßig, womit modernes Theater immer häufiger mediale Formate karikiert, bleibt „Der Sprung vom Elfenbeinturm“ zu plakativ an der Oberfläche, trivialisiert zu sehr durch optische Effekte. Die Texte bleiben marginal. Es ist eine Nummernshow mit Reizüberflutung, gesehen und bis auf einige Details schon wieder vergessen. Es fehlen die Schreckensmomente des Grotesken, das Lachen, das im Hals stecken bleibt, Positionen, die Reibungen zum Nachdenken provozieren. Ein Comeback von Gisela Elsner wird mit dieser Inszenierung nicht eingeleitet.
„Der Sprung vom Elfenbeinturm“ dauert ohne Pause 150 Minuten.
Künstlerisches Team: Pınar Karabulut (Text, Regie), Mehdi Moradpour (Text, Dramaturgie), Bettina Pommer (Bühne), Aleksandra Pavlović (Kostüme), Daniel Murena (Musik), Maximilian Kraußmüller (Licht), Su Steinmassl (Video)
Mit: Zeynep Bozbay, Gro Swantje Kohlhof, Bekim Latifi, Stefan Merki, Annette Paulmann, Wiebke Puls, Vincent Redetzki, Edmund Telgenkämper