©Michaela Schabel
Um 1400 bildete sich der „weiche Stil“ heraus. Elegante Figuren in ästhetisch geschwungenen Linien, in farbig leuchtenden, schön drapierten Gewändern. Die Gesichter wirkten lieblich und zart, nicht nur bei Frauen und der heiligen Maria, sondern auch bei den Bischöfen und Rittern.
Durch goldenen Hintergrund wurden die Betrachter regelrecht in himmlische Sphären entrückt. Gleichzeitig intensivierten sich die Farben der Gewänder. Da sich gerade die druckgrafischen Techniken etablierten und die Kunstzentren gut vernetzt waren, wurden die Motive über große Distanzen reproduziert.
Ab 1430 begannen sich im deutschsprachigen Raum große Veränderungen anzubahnen. Angeregt von den niederländischen Malern veränderten sich die künstlerischen Ausdrucksmittel. Man bemühte sich um mehr Wirklichkeitsnähe.
„Die Verkündigung an Maria“ von Konrad Witz beispielsweise zeigt die Jungfrau gänzlich unspektakulär. Der Engel erscheint Maria in einem einfachen, unmöblierten Zimmer, in dem sich nicht einmal ein Kissen oder Betpult befindet.
„Die Verkündigung an Maria“, Konrad Witz um 1440©Michaela Schabel
Das bisherige Schönheitsideal ersetzte man durch alltägliche, zuweilen hässliche Gesichter. Drastisch stellte man Folter, Martyrium und Ermordung der Apostel dar.
Neben religiöser Kunst stieg jedoch auch die Nachfrage an profanen Motiven: Landschaftsmalerei und vor allem Porträts fanden ihren Anfang in der Spätgotik. Eine Rarität ist das Bild eines Kölner Meisters um 1470. Die erotische Szene ist eine Allegorie auf das Liebesleid. Ein nacktes Mädchen entfacht das Herz eines Jünglings, das vor ihr in einer Schatulle liegt. Mit einem Schwamm löscht sie das Feuer.
„Der Liebeszauber“, Kölner Meister, um 1470©Michaela Schabel
Durch die ersten Papiermanufakturen, insbesondere durch Johannes Gutenbergs Erfindungen der beweglichen Drucklettern und der Druckerpresse gegen 1450 konnte sich die Drucktechnik schnell entwickeln. Innerhalb von zwei Generationen entstanden die wichtigsten frühen Bilddruckverfahren, Holz- und Metallschnitt als Hochdrucktechniken, der Kupferstich als Tiefdrucktechnik. Ausdrucksstark haben die Drucke nichts von ihrer Wirkung eingebüßt.
„Der hl. Antonius, von Dämonen gepeinigt“, Kupferstich von Martin Schongauer um 1470-75©Michaela Schabel
Die Straßburger Glasmalerei nahm in der Spätgotik eine herausragende Sonderstellung ein. Sie war weit über die Grenzen Straßburgs hinaus bekannt. Ganze Serien von Heiligendarstellungen entstanden im Zusammenhang mit kirchlicher Architektur. Tilman Riemenschneider wurde durch seine Holzfiguren zu einem der renommiertesten Künstler seiner Zeit.
„Die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes vom Münnerstädter Altar, Tilman Riemenschneider, 1490-1492©Michaela Schabel
Die Ausstellung „Spätgotik – Aufbruch in die Neuzeit“ ist noch bis 5. September 2021 in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen.
Zur Ausstellung erschien ein Katalog im Verlag Hatje Cantz, deutsche und englische Ausgabe, 360 Seiten, 215 Abbildungen.