©Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Raffiniert enthüllt Barrie Kosky in den „Meistersingern von Nürnberg“ Wagners Naturell, dessen Begriff vom deutschen Volk und und Antisemitismus. Schon das Spiel zur Ouvertüre enthüllt Wagners narzistische Hybris vom seiner Genusssucht bis zur egomanischen Selbstdarstellung. Verortet in der Bibliothek der Villa Wahnfried agiert Wagner wie ein hippeliges Stehaufmännchen. Er dirigiert alle herum, allen voran Levi, den er durch seine überhebliche Art und Unhöflichkeiten sozial isoliert.
Aber der Wucht und dem Pathos von Wagners Musik kann man eben nicht widerstehen. Barrie Kosby bringt sie noch mehr zur Wirkung, indem er das schauspielerische Talent der Sänger entdeckt. Jede Bewegung ist Ausdruck der Musikalität und Philippe Jordan intensiviert sie aus dem Orchestergraben durch sein überaus energisches und dynamisches Dirigat, das im zweiten und dritten Akt die lyrischen Facetten sehr klangschön präsentiert. Die Musik lässt die unsympathischen Züge Wagners vergessen, doch Barrie Kosky holt sie mit immer beklemmenderer Wirkung ständig ins Bewusstsein zurück. Gleichzeitig hinterfragt er die Rolle des deutschen Volks, in dem er aus Wagners Perspektive das Volk als reine Jubel- und Huldigungsmasse vor dem Hintergrund der Nürnberger Prozesse spiegelt und den Chor in Renaissancekostümen als Genrebild a la Bruegel arrangiert.
In lächerlicher Überaktivität wirken die Meistersinger in den wuchtigen Ärmeln ihrer Kostüme wie Bi-Ba-Butze-Hampelmänner, erweitert um Chor als manipulierbare Volksmasse durch klare Ansagen in beliebig gewünschten Formationen dirigierbar.
Wie in einem Puppenhaus agieren die Meistersinger im ersten Akt, es rollt nach hinten und von oben schwebt seit der veränderten Version im letzten Jahr eine Wand des Nürnberger Gerichtssaals ein, im dritten Akt kommen noch die Fahnen der Alliierten dazu. In differenzierten Lichtspiegelungen verwandelt sich Alltagsgeschehen in surreale Abgründigkeit. Beckmesser humpelnd nach der Schlägerei verletzt mit Arm in der Schlinge, den rechten Zeigefinger im Gips wird zur Inkarnation jüdischer Klischees, mit Bravour von Johannes Martin Kränzle gesungen und gespielt, als Slapsticknummer dieser Art immer noch ein Novum in Bayreuth.
©Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Beckmesser von skurril liliputisierten Juden verfolgt, jagt sie weg, er will damit nichts zu tun haben und doch entfalten sich in einem riesigen Ballon holzschnittartig seine jüdischen Gesichtszüge. Atemlose Stille macht die allseitige Betroffenheit spürbar.
Immer stärker leuchtet in Barrie Koskys Meistersinger-Version der Schrecken des Holocaust auf, wodurch sich die Musik ganz unerwartet zum berührendem Gedenken am Massenmord der Juden weitet. Grandios!
Grandios ist auch die sängerische Besetzung, die seit der Neubesetzung Evas mit Camilla Nylund im letzten Jahr gleich geblieben ist. Sänger und Chor begeistern durch kraftvolles Stimmvolumen, expressives Spiel, enorme Bühnenpräsenz. Michael Volle macht aus Hans Sachs einen reflektierten Würdenträger mit deftigem Schalk in der richtigen Situation. Klaus Florian Vogt lässt als Walther von Stolzing durch sein charismatisches Timbre, aber auch durch seine Textverständlichkeit immer wieder aufhorchen. Wiebke Lehmkuhl, mit sehr kleinen Partien als Magdalene hätte man gerne öfter gehört.