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Deutschlands Krisenmodus ist bekannt, der Wille zum Neustart allseitig bekundet. Um eine Wende herbeiführen zu können, bedarf es nach Gerald Braunbergers Sicht einer…
„Grand Strategy“. Sie soll helfen, in der gegenwärtigen unruhigen Welt Deutschland als ein demokratisches, freiheitliches Land mit einer sozialen Marktwirtschaft zu verankern.
Der Begriff kommt aus dem Militär und wird in den USA als Abgleich zwischen politischen, ökonomischen und militärischen Zielen und ihren Ressourcen verstanden.
Schon im Vorwort definiert Braunberger ganz klar seine Zielsetzung. Deutschland muss sich als Teil des westlich europäischen „Heartland“ (Herzland), als Mittelmacht der Weltsituation neu anpassen, und zwar mit einer klaren Bindung zu den westlichen Demokratien, einem erneuerten Europa und vor allem mit tiefgreifenden Reformen.
Seine Argumente, ein politisch Interessierter kennt sie, entwickelt er aus einem Schnelldurchlauf durch die historischen Grand Strategies aus verschiedenen internationalen Perspektiven und Zeitepochen. Er beginnt global mit der „Weltwirtschaft“, fokussiert dann auf „Europa“ und geht schließlich explizit auf Deutschland ein, das seiner Meinung nach nur mit einer klaren Westbindung, einem erneuerten Europa mit entsprechendem Sicherheitskonzept und vor allem mit tiefgreifenden Reformen im eigenen Land in der wankenden Weltordnung seinen Platz sichern kann.
Sehr klar formuliert, kristallisiert Braunberger die unterschiedlichen Grand Strategies heraus, die für Deutschland wichtig waren und sind. Schon immer löste das europäische „Heartland“ Begehrlichkeiten von Ost und West aus. Als Pufferzone gegen den sowjetischen Imperialismus wurde und wird Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA benutzt. Nach der Wende erfolgte die wirtschaftliche Annäherung Deutschlands an Russland über die Gaspipeline Nord Stream 1 und 2. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisierte sie als „vielleicht größte Fehleinschätzung der deutschen Außenpolitik nach 1945“. Weil ein Großteil der europäischen Länder eine Wiederkehr der Rivalitäten seitens der Großmächte ausschloss, verlor die NATO durch die Vernachlässigung des Militärs an innerer Geschlossenheit und an Selbstverständnis. Durch den Ukrainekrieg, das nachlassende Interesse der USA und die Aufrüstung der EU kehrt die NATO wieder zu ihrem zu ihrem Konzept der kollektiven Verteidigung zurück.
Ob sich die Weltsituation wieder in demokratische und autoritäre Regime spaltet, welche Probleme durch den Konkurrenzkampf der USA und China entstehen, welche Rolle mittelgroße Mächte wie Deutschland und der globale Süden spielen werden, kann auch Braunberger nicht vorhersagen. Seine Schlussfolgerung aus der gegenwärtig sehr komplexen Situation ist, dass Deutschland eine neue Grand Strategy braucht.
Dazu blickt er noch weiter zurück in die Geschichte Europas zurück. Er erklärt die Entstehung des Freihandels im 19. Jahrhundert, die erste Globalisierung zu Beginn der Industrialisierung bis 1914. Zunehmender Protektionismus, steigende Zölle und Abwertungen führten zu Inflation, Chaos und befeuerten in der Zwischenkriegszeit den Nationalismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte man mit der Gründung des GATT zu festen Wechselkursen, Abbau von Zöllen und Wirtschaftsliberalismus unter dem Schutzmantel der Pax Americana zurück. Gegenüber staatlich gelenkten Maßnahmen setzten sich die marktwirtschaftlichen durch. Die „Tigerstaaten“ beschleunigten die Exportnachfrage. Deutschland wurde Exportweltmeister. Durch die Global Player verwandelte sich die Welt in ein „Global Village“. Doch ab 2011 wurden die Globalisierungsnachteile immer deutlicher wahrnehmbar, Abwanderung von Arbeitskräften, Verarmung und steigende Sozialkosten, die sich besonders schlimm auswirkten, wenn Arbeits- und Regionalpolitik versagten. Hinzu kamen immer öfter Finanzkrisen, zunehmende Migrationsströme und um sich greifender Populismus. Seit seiner Wiederwahl verunsichert Trump durch die Grand Strategy der Zollpolitik die ganze Welt. Durch den strikten Protektionsmus Chinas und der USA sieht Braunberger für Deutschland und die EU allerdings die Chance, als Freihandelszone eine wirtschaftsbelebende Grand Strategy zu entwickeln. „Freie Marktwirtschaft statt Industriepolitik“.
Klar und einfach formuliert klingt das alles sehr logisch auf der Metaebene. Aber die Problematik liegt in der Komplexität der Weltlage, an der Unberechenbarkeit und den egoistischen Interessen der autoritären Machthaber, dem Bürokratismus der EU, der ideologischen Zerrissenheit in Deutschland und des allerorten aufflammenden Nationalismus.
„Neustart für Deutschland“ bietet die gewohnte historische Zusammenschau aus westlich demokratischer Sicht, und zielt in einer desaströs auseinander brechenden Welt auf die Einigung in Deutschland und im Rahmen der EU. Neue Erkenntnisse sind das nicht.
Gerald Braunberger trat nach einer Banklehre und einem Studium der Volkswirtschaftslehre 1988 in die Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein. Von 1995 bis 2004 war er Korrespondent in Paris und nach drei Jahren in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, von 2007 bis 2019 Ressortleiter Finanzen der F.A. Z. Seit 2019 ist Gerald Braunberger der Herausgeber. 2024 erhielt er den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspolitik.
Gerald Braunberger: Neustart für Deutschland. Mit einer Grand Strategie aus der Krise“, Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2025, 205 S.













