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Kulturhauptstadtregion Chemnitz-Zwickau 2025 – „European Realities“ im Museum Gunzenhauser 

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Kulturhauptstadtregion Chemnitz-Zwickau 2025 – „European Realities“ im Museum Gunzenhauser 

„Die Straßenfahrer“, William Roberts, um 1931©Estate of John David Roberts, by the permission of Treasury Solicitor, Ulster Museum Collection

Die Kulturhauptstadtregion Chemnitz-Zwickau-2025 überrascht mit einer einzigartigen Ausstellung. Unter dem Titel „European Realities“ zeigt das Museum Gunzenhauser mit rund 300 Kunstwerken aus 21 Ländern…

die vielfältigen Realismusbewegungen in den 1920er und 1930er Jahren. Der Erste Weltkrieg und die unmittelbar darauf folgende Influenza-Pandemie kostete 50 Millionen Menschen das Leben. Kaiserreiche wurden zerstört. Neue Kleinstaaten entstanden. Viele Menschen waren traumatisiert. Gleichzeitig entwickelten sich viele technische und soziale Innovationen wie Radio und Kino oder das Wahlrecht der Frauen. 

Die Nationalstaaten suchten nach einem neuen Stil. „Der Expressionismus ist tot, es lebe der Realismus“, so Kulturhistoriker Rainer Stamm. 1925 prägte man in Deutschland den Begriff „Neue Sachlichkeit“, wobei hinter der Abbildung des Alltäglichen die existentiellen Ängste sichtbar wurden und man sich auf nationale klassische Traditionen besann. 

Die „Neue Sachlichkeit“ war nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern in weiten Teilen Europas zu beobachten. Das Chemnitzer Museum Gunzenhauser weitet im Kontext seinen neuen Status als europäische Kulturhauptstadt den Fokus vor allem auf die  „European Realities“ in Nord, Ost- und Südosteuropa. Zum ersten Mal sind Werke aus Bulgarien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Niederlande, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn in einer Ausstellung zu sehen. 

Sport spielte in der Zwischenkriegszeit eine wichtige Rolle, weil durch gesunden Lebensstil und sportliche Großveranstaltungen die aktive Körperoptimierung im Sinne der Nationalstaaten beeinflusst werden konnte. Rad- und Boxsport waren auch in der Kunst beliebte Themen. Durch die großartigen Darstellungen von Wasser- und Wintersport wurden gleichzeitig die Wertschätzung der Natur, die Freude am Reisen und an der Mode geweckt. 

„Großstadt und Nachtleben“ zeugten auch in der Kunst von starken Verwerfungen zwischen Hedonismus und Exzessen, moralischem Verfall und Armut. Bei den Porträts fällt auf, dass die dargestellten Menschen keine Gefühlsregungen erkennen lassen. Das Typische, vor allem die Zuordnung zu einer bestimmten sozialen Schicht stehen im Vordergrund. Über die Accessoires sind Deutungen möglich, was durch museumspädagogische Spielmöglichkeiten und Fragebögen bewusst gemacht wird, indem beispielsweise das Porträt einer Frau mit anderen Details, einer Rose, Eistüte, einem Handy oder Messer dekoriert werden kann, woraus sich Fragen nach neuen Wirkungen ergeben. 

„Emanzipation und die Neue Frau“ im Hosenanzug mit Kurzhaarschnitt, rauchend, beruflich unabhängig werden zurechtgerückt. Sicher, es gab solche Frauen, aber sie waren in der absoluten Minderheit. Im Alltag galt das patriachalische Familienmodell mit der Frau in der Rolle der Hausfrau und Mutter. 

Die Faszination für Technik, Industrie und Architektur spiegelt sich in vielen, oft heroisch konzipierten Bildern mit rauchenden Kaminen und sonniger Aura. In den Stillleben versuchte man Vertrautes neu zu definieren, indem man Konträres zusammenfügte, um emotionale Stimmungen wie Melancholie, Einsamkeit und Isolation auszudrücken. Die Abbildung von Kakteen und anderen Pflanzen galten als Ausdruck bürgerlicher Bildung, künstlerischer Präzision und ästhetischer Schönheit.

Die KünstlerInnen zeigten aber auch die Schattenseiten des Krieges, die Armut und den Verfall, Arbeitslosigkeit, Kolonialismus und Ausbeutung. Ihre Bilder wurden von den Nationalsozialisten beschlagnahmt oder zerstört. Insgesamt erwartet die Besucher eine sehr interessante Ausstellung, die den Blick auf europäische Kunst weitet. 

Zur Ausstellung entstand ein umfangreicher Katalog, herausgegeben von Anja Richter und Florence Thurmes im Hirmer Verlag. „European Realities“ ist noch bis 10. August im Chemnitzer Museum Gunzenhauser zu sehen.