Wagners Figuren werden aus verstaubten Büchern plötzlich wieder wach. Wie beim Lesen entwickeln sich phantasievolle Hirngespinste, riesenhafte Verlängerungen. Mit dieser Konzeption schafft es Regisseur Stefan Tilch die unterschiedlichsten Handschriften des Regieteams zusammenzuführen und die statischen Szenen dynamisch mit Projektionen, lichtatmosphärischer Verdichtung und Vernebelung aufzupeppen.
Zwischen der Monumentalität der Bühnenbauten (Karlheinz Beer) tauchen die Rheintöchter digitalisiert durch sprudelndes Blau, marschieren Totenheere heran, multiplizieren sich per Videos (Florian Rödl) die Knechte Alberichs beim Heranschleppen des Rheingoldes als geschulterte Endlosseile aus Gold, die sich blutrot verfärben und via Projektion als Sklavenheer an politische Entwicklungen unserer Zeit denken lassen.
Doch diese starken Bilder werden durch die Kostüme (Ursula Beutler) konterkariert. Die Rheinnixen in einem Mix aus Hula und Bauchtanz, die Riesen in tölpischer Zimmermannstracht mit Puppenspiel-Riesenhänden, Freia als Burgfräulein, Fricke als spanische Senorita überzeugen in ihrer ironischen Verfremdung genauso wenig wie die Zappeltänze der Rheintöchter und Loges (Choreographie: Susanne Prasch), mit denen man die an sich sehr statischen Szenen und Gruppenbilder zu beleben versucht.
©Peter Litvai/Landestheater Niederbayern
Effekte lenken von den großen Motiven ab, der Reinheit ungeborgener Schätze, Wotans tyrannischer Behandlung der Frauen, dem Irrsinn seines spektakulären Walhalla-Baus und dem Leitmotiv, dem Verlust der Liebe, wer sich der Macht verschreibt.
Wie faszinierend Ruhe wirkt, wenn die Ästhetik stimmt, beweist der Auftritt Erdas. Im Zentrum ihres weiten Rocks, der sich vom Wasserblau in immer intensivere Grüntöne wandelt, wird Lucie Ceralová mit ihrem klaren Sopran zur großen Stimme des Abends als Weltenwarnerin, die weiß, „wie es war, wird und sein wird“. Großartig passen die Stimmen zusammen, harmonieren die Sänger des Ensembles mit den Gästen. Die Welt der Götter dominiert Stefan Bootz mit baritonaler Wucht. Christel Loetzsch als seine Gattin Fricka, vor allem Kathryn J. Brown als Freja bieten ihm auch schauspielerisch Paroli. Ya-Chung Huang zeichnet durch seine spielerische Flexibilität und seinen klaren Tenor die Partie Loges als smarten Coach Wotans.
Bewusst stumpfer und derber ist die Welt der Nibelungen und Riesen. Stefan Stoll intoniert und spielt Alberich hervorragend als wollüstiges Ekelpaket und goldgierigen Sklaventreiber. Thomas Stückemann zeichnet Mime imposant in seinem erlebten Leid der Ausbeutung. Als Riesen bringen Heeyun Choi (Fasolt) und Jens Waldig (Fafner) gesanglich gefährlich dunkle Eindringlichkeit und Unerbittlichkeit ein. Maria Pitsch, Sabine Noack und Reinhild Buchmayer sind stimmlich Rheintöchter aus einem Guss mit betörendem Volumen, von neckisch verspielter Mädchenhaftigkeit. Jeffrey Nardone überrascht in seinen kurzen Passagen durch wagnerianische Wucht, nicht ganz so voluminös wirkt Peter Tilch als Donnergott, was auch der Einnebelung seines Parts geschuldet sein mag, die nicht nur die Leserlichkeit der Untertitel beeinträchtigte, sondern sicher auch für das Orchester eine Herausforderung war.
Das dirigiert Basil H. E. Coleman sehr einfühlsam. Wenn auch der berühmte tiefe Es-Dur-Akkord, aus dem sich die Themen des wogenden Rheins entwickeln, und andere Passagen noch nicht in voller Transparenz zu hören sind, gelingt der Niederbayerischen Philharmonie Wagnerianische Intonation in den langgezogenen Tönen, quirligen Streicherpassagen, den markanten Bläser- und Trommelakzenten und dem lyrischen Harfenspiel.
Man darf auf die „Walküren“ in der nächsten Spielzeit gespannt sein.
Michaela Schabel