"Kultur macht glücklich"


Kammerspiele Landshut – „SPERR-tage“

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Kammerspiele Landshut – „SPERR-tage“

Mit Josef Bierbichler und seiner Lesung aus seinem Roman „Mittelreich“ und dem daraus abgeleiteten Drehbuch „Zwei Männer im Anzug“ war der Auftakt extrem publikumswirksam. Unterhaltsam, gespickt mit persönlichen Kommentaren schilderte  Josef Bierbichler die Umwandlung vom Roman in ein 4-stündiges Drehbuch und schließlich in ein marketingmäßig erzwungenes  zweites Drehbuch im 135-minütigen Standardformat. Lesend, singend, erzählend zog er das Publikum in den Bann seiner Familienchronologie, in der sich 70 Jahre deutsche Geschichte spiegeln. Er erklärte die Metaphern des Films, in denen sich Opfer und Täter, Schuld und Vision in ihrer Komplexität enthüllen. Entsprechend begeistert reagierte das Publikum bei der Filmpräsentation. Im Gespräch, von Kulturjournalist und Theaterkritiker Christoph Leibold fundiert moderiert, offerierte sich Josef Bierbichler als Künstler ganz im Geist von Martin Sperr, den er mit Oskar Maria Graf, Achternbusch und Fassbinder zu den großen geistigen Rebellen zählt, die allesamt zu Lebzeiten gesellschaftlich isoliert, regelrecht „hinausgetreten wurden“ und jetzt wieder als Aushängeschild benutzt werden.

Nichtsdestoweniger wurden die sperrige Gedanken nicht nur symbolisch wie die 160 Holzscheiben von Martina Kreitmeier geschnitten und zusammengekettet, zur Brücke zwischen unterschiedlichen Menschen und Standpunkten.

SPERR-Tage bauen Brücken

©Michaela Schabel

Bei allen anderen Veranstaltungen vermisste man trotz der interessanten Autoren die Präsenz von mehr Zuschauern. Enis Maci vertrat mit ihrem Essayband „Eiscafé Europa“, kleine Geschichten aus der multikulturellen Perspektive in digitaler Assoziationstechnik die neue Generation junger Autoren. „Fremdgemacht und reorientiert“, benannt nach dem Sammelband über Denkansätze jüdisch-muslimischer Verflechtungen, vermittelte aufgrund facettenreichen autobiografischen Erfahrungen der Gäste erlebte Ressentiments sehr authentisch. Armin Langer, Autor, Publizist, Soziologe, näherte sich, rhetorisch sehr gewandt und charmant dem Thema aus der religionswissenschaftlichen Perspektive. Shlomit Tulgan, Kunstpädagogin, Puppenspielerin,  Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Berlin, setzte ihre autobiografische Lesung zwischen Religionen und sozialistischen Ideologien wie bei ihrem Puppenspiel in unterschiedlichen Stimmlagen mit einer großen Portion Humor und vielen Bildern in Szene. Im Gespräch ergänzt durch den Landshuter Migrationsbeirat Ahmet Karaman fokussierten die Kuratorinnen Julia Weigel und Anna Steinbauer  auf „Hartnäckige Feindbilder: von Juden, Muslimen und sperrigen Querdenkern“, um den Kopf aufzusperren für eine subtilere Wahrnehmung im alltäglichen Umgang miteinander.

Anhand von acht Kapiteln aus Gerlind Reinhagens „Die Frau und die Stadt“, gelesen von dem renommierten Regisseur Alfred Kirchner, und vier Texten aus Feridun Zaimoglus „Die Geschichte der Frau“, von Schauspielerin Sarah Grunert in Szene gesetzt, erlebten die Zuschauer nicht nur die Wehrhaftigkeit von einzelnen Frauen, sondern auch zwei extrem unterschiedliche und expressive Interpretationsstile. Achternbuschs letztes veröffentlichtes Stück „Arkadia“ sorgte zum Abschluss  der SPERR-tage für Irritationen. Es war ein kompaktes Festival mit Musik (Maxi Pongratz, Akkordeon und Kontrabassist Wilbert Pepper) und leckerem Essen. Wer nicht dabei war, hat schon etwas verpasst.