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Monika Dars, Natania Hoffman sehr klug konzipiertes Debütalbum „Resistance – Conflict, Complexity, Conversations“ 

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Monika Dars, Natania Hoffman sehr klug konzipiertes Debütalbum „Resistance – Conflict, Complexity, Conversations“ 

©ET’CETERA, 2024

Diese Interpretation von „Zapyškis“, ein Stück des kanadisch-amerikanischen Komponisten Joel Hoffman (*1953), zielt direkt auf den Titel. Man hört sofort die expressive Welt von Widerstand und Momenten melancholischer Schönheit, womit Cellistin Natania Hoffman und Pianistin Monika Dars ein wunderbar spannungsreiches und sehr expressives Debüt gelingt, in dem sie nicht nur den persönlichen und gesellschaftlichen Widerstand in autoritären Systeme entdecken, sondern auch die Schönheit der Harmonie als Gegenpol nach  „Conflict, Complexity, Conversations“. Stückauswahl und Interpretationen bestechen durch einen hohen Grad an Emotionalität, narrativer Intensität und kompositorischem Neuland. 

Die vier Stücke stammen von KomponistInnen des 20. und 21. Jahrhunderts, die entweder unter dem sowjetischen System bzw. dem deutschen Nationalsozialismus zu leiden hatten oder den Umgang mit diesem Widerstand aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts neu komponierten. Bekannt ist in Deutschland davon nur Dmitri Shostakovich. 

Im ersten Stück „Zapyškis“, benannt nach einem litauischen Dorf, in dem Joel Hoffmans jüdische Vorfahren lebten, bringen Komposition und Interpretation die emotionale Polarität und konzeptionelle Komplexität sofort auf den Punkt. Joel Hoffman spielt auf ein satirisches Lied von Mordechai Gebirtig, der prominentesten musikalischen Stimme des Krakauer Ghettos, an und entwickelt es weiter, sehr klar und klangschön, ohne Pathos von Monika Dars und Natania Hoffman interpretiert.

Im zweiten Stück lässt allein schon der Name Dmitri Shostakovich sofort an die Repressionen im sowjetischen System denken, die die Interpretinnen in seiner „Sonate für Cello und Piano“ (1934) sehr vielschichtig aufleuchten lassen. Sie fokussieren auf das spätromantische Liebesmotiv, in dem sich Verfolgung, Widerstand und Poesie spiegeln. Die Realität des restriktiven sozialistischen Systems nähert sich im ersten Satz in bedrohlichen Tönen, die  in schleppenden Schritten treppauf hörbar werden und den Pulsschlag bis zum unabwendbaren Knockout verlangsamen. Umso hurtiger, fast mit tänzerischer Leichtigkeit übersetzt Shostakovich im zweiten Satz die sowjetische Begeisterung für die Industrialisierung, deren hinterfragende tonale Differenzen Monika Dars und Natania Hoffman irrlichternd  aufleuchten lassen. Umso elegischer wirkt das Erwachen im dritten Satz. In großen Melodienbögen wird die Klage verlorener Lebensschönheit bewusst, die sich in eine himmelwärtige Sehnsucht steigert, um im selben Moment in abgründige Tiefe zu fallen, durch das Klavier rhythmisch durchpulst, durch Höhen und Tiefen mit dissonanten Akkorden kraftvoll kontrastiert, um im Pianissimo zu verstummen. Wie ein Kurzfilm oder aber auch wie ein Fiebertraum wirkt das abschließende Allegretto, das Shostakovich der Musikgeschichte nach als Verfolgungsjagd eines Diebs komponiert hat, um seine moderne Komposition gegen Verstöße gegen die Regeln des sozialistischen Realismus in der Kunst abzusichern. Eine witzige fröhliche Melodie von beiden Musikerinnen herrlich keck und lautmalerisch phrasiert bahnt sich trotz aller kompositorischen Überstrudelungen und Zersägungen den Weg und gibt mit einem resoluten Schlussakkord ein klares Statement für die Bedeutung des Widerstands. Es ist ein amüsantes, leicht zu verstehendes Beispiel, wie differenzierte musikalische Botschaften Gegengewichte zu autoritären Systemen schaffen können. 

Mit  „Grand Duet“, fünf sehr kurzen, unbezeichneten Sätzen der sehr eigenwilligen Komponistin Galina Ustwolskaja (1919-2006) steigert das Künstlerinnen-Duo das Konzept von „Resistance“ durch  völlig neue Tonalitäten. Monika Dars schlägt in fiebriger Eindringlichkeit tiefste Akkorde an oder hämmert in höchsten Tonlagen. Natania Hoffman säbelt Hilfssignale in großer Pein. Das zunächst individuelle Duet-Inferno weitet sich zum wuchtigen Tongemetzel, zum Kopfkino eines Widerstandes, der durch exzessivere, tonal und rhythmisch sich wiederholende Cluster immer größer wird und abrupt abreißt, um im fünften Satz durch eine klare Cello-Melodie, vom Klavier dunkel umwoben oder von glasklaren Tönen umrahmt, das wieder bedrohlich auftauchende  Gemetzel mit gelassener Ruhe zum Schweigen zu bringen.

Dazu passen wunderbar die „Four Miniatures“ von Anatolijus Šenderovas (1945-2020), dem bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten Litauens, über dessen sehnsuchtsvolle Stücke Monika Dars und Natania Hoffman warm glühende, aber auch eisig dissonant flirrende Klangfarben und herausfordernde Tempi  in prägnant einbringen können, so dass final die Schönheit des Klangs als Basis ganz unterschiedlicher Narrative in den Vordergrund rückt.

„Resistance“ ist ein mitreißendes Debüt und unter den Händen von Monika Dars und Natania Hoffman ein eindeutiges Bekenntnis, dass Musik trotz aller Repressalien durch sich selbst wirken kann, in Zeiten größter Bedrängnis zur Notwehr und zum Balsam für die Seele wird. Man darf auf die folgenden CD-Konzepte und Interpretationen gespannt sein. Die CD ist ab 1. Februar 2024 im Handel erhältlich.

Das Duo Hoffman-Dars, gegründet 2016 in Brüssel, ist ein vielseitiges Ensemble. Beide Musikerinnen waren Gewinnerinnen des Kammermusikwettbewerbs „Luigi Nono“ 2017 in Italien. Gemeinsam traten sie im Pyrmonter Musiksalon (Deutschland), im Niemeyer-Zentrum (Spanien), im Museum für Angewandte Kunst Vilnius (Litauen), in der Academia Belgica (Italien) und im Brüsseler Musikinstrumentenmuseum (Belgien) auf. Sie spielten die Europapremiere von Gao Weijies Werk „Longing for Shu“ und arbeiteten mit Mentoren wie Gary Hoffman zusammen. 

Monika Dars, Natania Hoffman „Resistance – Conflict, Complexity, Conversations“, Label Et’CETERA, 2023

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