©Andrea Leichtfried, Deutsches Theater Berlin
Alles andere als leichte Kost ist Kafkas Erzählfragment „Der Bau“ (1923-24), einer der letzten Texte posthum von Max Brod 1928 veröffentlicht. Unter der Regie von und mit Max Simonischek wird „Der Bau“ physisch und psychisch zur großen Verelendungsmetapher heutiger Zeit. Die ständige Vorstellung, was alles passieren könnte, führt ins Reich der Phobien, die sich im grellen Licht zwischen Schattenprojektionen und Buddeln in der Erde offerieren.
Optisch verwahrlost konkretisiert Max Simonischeks Version Einsamkeit und Obdachlosigkeit in der Figur eines Penners. Mit zerschlitzten Klamotten, strähnigen Haaren, wirrem Bart, den Kopf eingezogen, immer gebückt, die Finger verpflastert, ein Bein auf dem Ballen wie ein verletztes Tier, dem jegliche Balance fehlt, kratzt und schabt er, beobachtet mit fiebernden Augen sein Umfeld. Beim kleinsten Geräusch reagiert er radikal. Mit einer artistischen Kehrtwendung donnert er wie ein Tier gegen die Wand, in Todespanik lauernd verharrt er, um dann umso eloquenter weiter zu monologisieren. Unter der Nase und Lippe Blutspuren werden seine Beschreibungen des Erbeutens und Fressens grausig lebendig und gleichzeitig symbolisieren sie die Wunden einer geschundenen Kreatur. In seiner Phantasie verwandeln sich Geräusche in ein wuchtiges Rüsseltier, das durch Ein- und Ausatmen neue Ängste schürt und die Paranoia befördert. Nur kurz blitzen lichte Momente auf „die Vorräte genießen, solange es möglich ist.“
©Andrea Leichtfried, Deutsches Theater Berlin
Durch Simonischeks schauspielerische Expression, seine dynamische Rhythmisierung in Endlossätzen, höchst emotionalisierte und präzise Artikulation kommen die alternierenden Innen- und Außenperspektiven bestens zur Wirkung, wobei der Text trotz seiner abstrus paranoiden Inhaltlichkeit eine ungewöhnlich dramatische Spannung und bedrückende Authentizität entwickelt. Was hilft die Vorstellung, den Bau, das selbst geschaffene Gefängnis vielleicht verlassen zukönnen und von außen zu beobachten, ob jemand sich nähert, wenn niemand kommt? So gräbt sich dieses menschliche Kafka-Tier immer tiefer in das eigene Labyrinth seiner Burg.
Das ist Schauspielkunst vom Feinsten. Man muss in Berlin nicht weit gehen, um diese menschlichen Prozesse live zu erahnen.
Künstlerisches Team: Max Simonischek (Regie), Peter Kastenmüller (Dramaturgie), Besim Morina (Bühne), Joel Basman (Kostüm), Daniel Freitag (Musik), Peter Grahn (Beleuchtung)