Helene Hegemann „Schlachtensee“ – anspruchsvoll düsteres Psychogramm unserer Gesellschaft

Helene Hegemann "Schlachtensee" präsentiert von www.schabel-kultur-blogd.e

©Kiepenheuer & Witsch, 2022

Jede Geschichte kreist um psychische Deformationen unserer Gesellschaft, ist eine wuchtige Metapher für menschliche Unzulänglichkeiten, verdrängte Sehnsüchte, die Doppelmoral Privilegierter oder die Grausamkeit sportlicher Ausbeutung. 

Traditionelle Beziehungen werden, um beim Titel zu bleiben, regelrecht  geschlachtet, um die individuellen Präferenzen zu befriedigen, ohne dass Helene Hegemann irgendwelche Wertungen einfließen lässt. Sie entwickelt nur bizarre Szenarien, die sie sprachlich sehr skurril verpackt.

Es sind ganz unterschiedliche, überaus  irritierende, zuweilen fast surreale Vexierbilder von großer sprachlicher Bildmagie, in denen sie die Grenzen herkömmlichen Schreibens überschreitet und alle Sinnesorgane miteinbezieht, wenn beispielsweise das Geburtstagsgirl mit einem Vollbad aus Hühnersuppe und Schaumbad überrascht wird. 

Lässig eingestreut verdichten markante Kernsätze die anvisierte Ursachenforschung zu klaren Aussagen wie „Statt Hilfe Entsorgung“, „Arbeit deformiert die Persönlichkeit“, „Reisen aus Langeweile oder klirrender Einsamkeit“. Wie können sich ihre Figuren auf einen anderen einlassen, wenn sie um das eigene psychotische Verhalten wissen? Gar nicht. Helene Hegemanns Geschichten blicken hinter die Fassaden, sind alles andere als erbaulich.

©Joachim Germ

Helene Hegemann, 1992 geboren, leuchtet als Multitalent am deutschen Literaturhimmel. Eine Auszeichnung reiht sich nach der anderen. 2008 gewann sie mit ihrem ersten Film „Torpedo“ den Max-Ophüls-Preis. 2010 debütierte sie als Autorin mit dem Roman „Axolotl Roadkill“, der in 20 Sprachen übersetzt wurde. Für die Verfilmung, bei der sie selbst Regie führte, ehrte man sie beim Sundance Festival 2017 mit dem World Cinema Dramatic Special Jury Award for Cinematography. 2013 erschien ihr zweiter Roman „Jage zwei Tiger“, 2018 „Bungalow“, nominiert für den Deutschen Buchpreis. 2021 schrieb sie in der KiWi Musikbibliothek über Patti Smith und Christoph Schlingensief. Neben dem Schreiben inszeniert sie Opern, Theater und Filme.

Helene Hegemann „Schlachtensee“, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2022, 263 Seiten