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Spezialität Paul Schraders, Drehbuchautor, Regisseur, Filmemacher und -kritiker, ist die Fokussierung auf den selbstzerstörerischen Weg eines eigenwilligen Charakters, der nach schmerzhafter Lebenserfahrung auf ein Selbsterlösungsereignis als Katharsis zusteuert. Seine Filme „Taxi Driver“, „Ein Mann für gewisse Stunden“, „Light Sleeper“ und „The Walker“ sah Schrader als Tetralogie „Man-in-a-Room-Filme. Mit „The Card Counter“ setzt er diese Konzeption fort. Er präsentiert einen Film, der unter die Haut geht, dessen ruhige, kraftvolle Bilder sich ins Bewusstsein einprägen und erklären, warum Menschen so aus dem Ruder laufen. Man fragt sich, warum dieser Film nicht für die Berlinale geordert wurde.
William Tell, mit Oscar Isaac smart und dezent, sympathisch, aber gleichzeitig undurchschaubar angelegt, wurde analog zu den Ereignissen im Irakkrieg als ausgebildeter Soldat der US-Army wegen praktizierter Folter verurteilt, während sein Ausbilder John Gordo straffrei in der Wirtschaft eine neue Karriere starten konnte. William bringt sich mit Glücksspielen durchs Leben. Er lernt den jungen Schulabbrecher Cirk kennen, der einen Rachefeldzug gegen den Ausbilder seines Vaters zum Foltersoldat plant. Nach Kriegsende verprügelte der Vater, ein Psychowrack, Frau und Sohn. Die Ehe zerbrach. Der Vater schlug den Sohn noch mehr und brachte sich schließlich um. Auf geleakten Fotografien erkennt Cirk William als Folterknecht. „Ihr ward alle Opfer“. Die Ausführenden bestrafte man, die Bosse nicht.
William sieht in Cirk eine Möglichkeit mit seiner Schuld ins Reine zu kommen. Er möchte, dass Cirk wieder auf das College geht und zu seiner Mutter zurückkehrt. Deshalb geht er auf das Angebot von La Linda ein, die in Casinos nach begabten Spielern Ausschau hält, um sie für große Pokerturniere zu gewinnen. Ihr Chef legt die hohen Teilnahmesummen aus. Der Gewinn, selbst durch Drei geteilt, würde reichen, Cirk und William ein neues Leben zu ermöglichen nach dem Motto „Das Gefühl, wenn man einem verzeiht, ist sehr ähnlich dem, sich selbst zu verzeihen.“ Doch es kommt anders.
Während sich die Story ganz nebensächlich aufbaut, kreist die Kamera allein um diesen William, dessen konzentrierter Blick auf die Spielkarten sich immer wieder in einer nebulosen Verlorenheit eröffnet.
In Albträumen blendet Schrader die brutalen Folterpraxen in Abu Ghraib, die später weltweit auch in Guantanamo praktiziert wurden. Im Weitwinkelformat und in Fischaugen-Optik leuchtet das infernalische Szenario unterschiedlichster Foltermethoden auf, nackte Opfer malträtiert von den US-Soldaten, u. a. William, Experten der Folter durch Reizüberflutung, entsprechend dröhnt der Soundtrack. Die Opfer werden von bissigen Hunden in die Ecke getrieben, mit Kot beschmiert, blutig zu Boden geschlagen. Kein Wunder, dass William die Möbel in jedem Hotelzimmer klinisch sauber mit weißen Leintüchern verhängt und sich beim Schreiben immer wieder seine Schuld reflektiert.
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Doch die Schuld brennt weiter in seinem Kopf, auch wenn die aufkeimenden Gefühle für Linda sie mildern, Cirk als Projektionsfläche für das Gute Hoffnung aufkommen lässt. Warum sich Soldaten auf diese Verhöre einließen, blendet Schrader aus. Ihn interessiert, wie die Schuld auf den Menschen wirkt und er verwehrt seinem Protagonisten das sorgsam, durchaus realistisch konstruierte Happyend. Ein brutales Duell, nicht zu sehen, nur zu hören, bringt William wieder hinter Gitter und bindet an den Anfangssatz an. Und doch hat sich etwas geändert, was Hoffnung gibt, wie so oft in Schraders Filmen ausgelöst durch eine Frau. William bekommt in Haft Besuch – von La Linda. Zwei Finger, die sich wegen der Glasscheibe dazwischen, nicht wirklich berühren, rücken doch ganz nahe zusammen. Mit der Botschaft menschliche Beziehung contra Folter der Einsamkeit lässt sich der Film weiterspielen.
Künstlerisches Team: Paul Schrader (Drehbuch, Regie), Alexander Dynan (Kamera)
gespielt von Oscar Isaac (William), Tiffany Haddish (Linda), Tye Sheridan (Cirk), Willem Dafoe (John Gordo)