©zu Klampen Verlag 2022
In einem Dutzend Essays, die Kollhoff zwischen 2016 und 2021 in verschiedenen überregionalen Tageszeitungen und Magazinen veröffentlichte, hinterfragt er die Defizite der modernen Bauweise vor dem Hintergrund von Bauhausstil, Expressionismus und ökologischen Innovationen, die alles andere als nachhaltig sind.
Für Kolhoff ist Deutschland architektonisch immer noch ein Entwicklungsland, geprägt zunächst von der Industrialisierung und vom Individualverkehr, dann von der uniformen Globalisierung, die die Innenstädte in Billig-Shoppingzonen mit gleicher Optik und anonymer Atmosphäre verwandelte. Mit prominenten Beispielen wie dem öd stereotypen Quartier hinter dem Berliner Hauptbahnhof belegt Kollhoff die Bausünden unserer Zeit. Auch prämierte Projekte wie der „Bosco Vertical“, die begrünten Mailänder Zwillingstürme, sieht Kollhoff als reines Spekulationsobjekt.
Vorbild für ihn ist die europäische Stadt, genauer die italienische mit historischem Zentrum, geschlossener Bebauung um eine Piazza, sinnvoller Verschattung und attraktivem Umfeld inklusive öffentlicher Parkflächen, die Häuser offen zum öffentlichen Leben als Versorgungs- und Kontaktraum. Während man in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg politisch für den Erhalt und die detailgetreue Sanierung sorgte und generationsüberdauernden Baubestand für die Zukunft rettete, hieß in Deutschland die Devise Abriss und Bau von tristen Wohnblocks, öden Fußgängerzonen und einfallslosen Trabantenstädten wie das Märkische Viertel in Berlin ohne jegliche Infrastruktur.
Kollhoff will die Städte von innen her entwickeln. Die Umstrukturierung von Büroräumen in Wohnungen infolge der Pandemie böte jetzt wieder die Möglichkeit, die Zentren in kleinzellige lebendige Wohn-Lebensräume zu verändern, Handwerk und Kleingewerbe Raum zu geben und den globalen Ladenketten die Stirn zu bieten.
Sanierung, Wiederverwendung langlebiger Materialen wie Stein sind für Kollhoff die Merkmale der Nachhaltigkeit. Heftig kritisiert er die heutigen Ökosiegel als „Greenwashing“ von Bauprodukten, die viel mit schäbigem Bauen zu tun haben, aber keinerlei Nachhaltigkeit bieten. „Hände weg von Styropor und jeglichen Wärmeverbundsystemen“ fordert er, ebenso von den unsinnigen Technisierungen im Rahmen smarter Häuser. Inzwischen nimmt die Technik absurde Ausmaße an und führt zu „hyperventilierenden Gewerken“ zu Lasten jeglicher baulicher Solidität. Nachhaltigkeitsprämien sollten seiner Ansicht nach erst nach fünf Jahren Bewährung gestaffelt verliehen werden.
Im Wechselspiel von geschlossener Stadtbebauung und strahlenden Bausolitären ergibt sich für Kollhoff eine attraktive Stadt. Bauten sollten „wie Körper mit Gesicht, Prämie, Haltung und Armen“ sein. Es gilt dabei die historischen Bauerfahrungen zu nutzen und sie weiterzuentwickeln, damit sich die Schere zwischen Profit-Akkumulation und Einbüßung von Lebensqualität nicht noch stärker weitet.
Hans Kollhoff studierte von 1968 bis 1973 Architektur in Karlsruhe und Wien, war Stipendiat und Assistent von Oswald Mathias Ungers in New York, der sich sehr sich enthusiastisch und kritisch für die komplexen Zusammenhänge von Architektur, Gesellschaft und für eine bessere Umwelt einsetzte. Von 1978 bis 1983 war Kollhoff Assistent an der TU Berlin, von 1990 bis 2012 Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich.
Über sein eigenes Architekturbüro (1984) entwickelte Kollhoff Büro-, Geschäfts- und Wohnbauten in Europa und den USA. In Berlin baute er die Leibniz-Kolonnen, den Kollhoff-Tower im Auftrag von Daimler/Benz am Potsdamer Platz, das Europäische Haus Unter den Linden. Den Wettbewerb für die Gestaltung des Berliner Alexanderplatzes, den er 1993 mit einem Konzept für dreizehn aufgesockelte 150 Meter hohe Hochhaustürme gewann, wäre der ideale Ort, alle seine Thesen vor Ort umzusetzen. Doch weder der Potsdamer Platz noch der Berliner Alexanderplatz haben eine fühlbar angenehme Urbanität entwickelt. Theorie und Praxis klaffen immer wieder weit auseinander.
Hans Kollhoff „Architekten. Ein Metier baut ab“, zu Klampen Verlag, Springe 2022, 127 S.