München – Thomas Bernhards Monolog „Minetti“ im Residenztheater mit neuen Facetten

Theaterkritik zu Thomas Bernhard "Minetti" im Reisdenztheater präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Silvester in Ostende mit Schneetreiben an der Atlantikküste in einer Hotelhalle, mittendrin in einer illustren Runde von Maskierten und Betrunkenen ,„einer Welt von Verrückten“, wartet der alte Schauspieler Minetti auf einen Theaterdirektor aus Flensburg, seine letzte Chance, „noch ein einziges Mal den König Lear zu spielen“. 

Hört man „Minetti“ denkt man zurecht an den großartigen deutschen Schauspieler Bernhard Minetti (1905 – 1998). Für ihn, seinen Lieblingsschauspieler schrieb Thomas Bernhard das gleilchnamige Stück und er sollte es auch spielen, gleichsam Komödie und Tragödie als wuchtiger Monolog einer gescheiterten Künstlerexistenz. 

Jetzt ist das Thomas Bernhards Kultstück von einst noch einmal im Residenztheater zu sehen. Das Besondere ist, drei Urgesteine der Theaterwelt inszenieren auf und hinter der Bühne. Regisseur Claus Peymann ist 86 Jahre alt, Manfred Zapatka als Minetti 81 und Bühnenbildner Achim Freyer 89. Sicher ein renommiertes Trio, das Fanpublikum ist begeistert, honoriert die Altmeister der Theaterkunst mit lang anhaltendem Applaus, auch wenn der Text längst seine provokante Kraft verloren hat… 

©Residenztheater, Foto: Monika Rittershaus

„Minetti“ kreist um die Misere eines Schauspielers, der sich über die Rolle des Störenfrieds definiert. Wegen seiner Weigerung klassische Stücke zu spielen wurde er in die Provinz nach Dinkelsbühl verbannt. Verbittert blickt er auf dreißig Jahre „verlebtes Leben“ ohne Auftritte zurück, ein Rosenkranz immer gleicher Sätze, die durch die pathetische Expression Manfred Zapatkas  einmal mehr den altmodischen, auf der Zeit gefallenen Duktus dieses Textes unterstreichen. Weil der Theaterdirektor nicht erscheint, zerplatzt die letzte Hoffnung auf die Rolle des König Lears wie ein Silvesterluftballon. Dieses Künstlerporträt wirkt in seiner narzisstischen Selbstdarstellung antiquiert, nicht aber der gleichzeitig verhandelte Prozess des Älterwerdens und das Auseinanderdriften der Generationen.  

Theaterkritik zu Thomas Bernhard "Minetti" im Reisdenztheater präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Residenztheater, Foto: Monika Rittershaus

In der Hotelhalle hängt das einzige Bild schief, Symbol für Minettis Erinnerungen, die erst durch die Kritiken, die er aus seinem verstaubten Koffer holt, zurechtgerückt werden. Der Portier thront kafkaesk auf einer überhöhten Rezeption und verteilt die Schlüssel an die alten, wackelig heimkehrenden Gäste. Aus dem Lift platzt immer wieder das bunt maskierte, schillernde Silvester-Partyvolk quer durch die glasverspiegelte Hotelhalle nach draußen, wo ein Schneesturm tobt. Eine alte, champagnerbeschwingte Madame in Rot findet in Minetti ein Flirtopfer. Doch der ist völlig in seinen Gedanken gefangen, erzählt nur von sich, und als sie verschwindet, übernimmt ein bezauberndes Dienstmädchen, das auf ihren Liebsten wartet, die Zuhörerrolle. Als die Böller krachen, die Raketen explodieren ist Minetti  ganz alleine. Jetzt erst  setzt er im Schneegestöber die an diesem Abend viel besprochene Lear-Maske von  James  Ensor auf und man  assoziiert sofort Edmund Munchs expressiven „Schrei“ über die Lage der Welt. Minetti muss den Lear nicht mehr spielen. Er ist es schon, und was ihn erwartet sind Vereinsamung und Tod.. Das entwickelt durchaus Kraft und offeriert das gnadenlosen Um-sich-selbst-Kreisen im Alter, das Verstecken hinter Massen quer durch alle Generationen  und vor allen die totale Ignoranz mitmenchlicher Anteilnahme.

Künstlerisches Team: Claus Peymann (Regie), Achim Freyer ( Bühnenbild, Lichtkonzept, Kostüme), Jutta Ferber (Dramaturgie),  Gerrit Jurda (Licht),  Sebastian Sommer (Musik, Sounddesign), Miriam Lüttgemann (Produktionsleitung)

Mit  Manfred Zapatka (Minetti), Barbara Melzl (Dame),  Naffie Janha (Mädchen), Mauro Nieswandt (Portier),  Pujan Sadri (Lohndiener) u. a