München-Teamtheater-Thomas Manns „Zauberberg“ in einer Inszenierung von Andreas Wiedermann

Theaterkritik "Der Zauberberg" präsentiert von schabel-kultur-blog.de

In der Exzentrik der Kurgäste spiegelt Thomas Mann den schwächelnden Zustand der Bourgeoise und ihrer humanistischen Werte. Das Sanatorium wird zur letzten Insel freien Denkens. Schnell ist Castorp vom Fieber dieser abgehobenen Atmosphäre mit ihren medizinischen Ritualen, müßiggängerischem Lebensstil und philosophierenden Gesprächen infiziert. Kritisch beginnt er auf sein bislang fremdbestimmtes Leben im Flachland mit der Gier nach Geld und Erfolg zu blicken und sich wie „Hans im Glück“ zu fühlen, der dem Tod nicht die Macht über die Gedanken überlässt.

In 165 Spielminuten ohne Pause verwandelt  Regisseur Andreas Wiedermann dieses 900-seitige Werk in der Bühnenfassung von Hermann Beil und Vera Sturm in ein spannendes Theaterstück mit Livemusik als Gedankendestillat mit den wichtigsten Figuren und Fragestellungen.

Die zehn Kapitel verschmelzen zu einer abwechslungsreichen Szenencollage, komponiert wie eine Fuge. Die polyphone Mehrstimmigkeit ergibt sich statt aus Tonhöhen aus den verbalisierten Gedanken der Patienten und dem szenischen Wechsel zwischen markanten, auf das Wesentliche reduzierten Dialogen und atmosphärisch skurrilen Szenen des Kurlebens.

Castorp, von David Thun sehr schüchtern, nachdenklich, spätromantisch gespielt,  schlägt das Thema des Zeitbegriffs an, erweitert um die Weltflucht, in die er sich in den Gesprächen mit dem Literaten Settembrini immer mehr verstrickt. Dessen humanistische  ausgewogenen Gedanken belebt Constanze Fennel in Charly-Chaplin-Optik  mit blitzenden, schwungvoll wirbelnden Spazierstock und charismatischen Akzent. Leo Naphta wird mit Urs Klebe zum mephistophelischen Kontrahenten. Clemens Nicol vertritt als Hofrat Behrens, Chef des Sanatoriums, eine selbstherrlich plakative Führungsfigur die naturwissenschaftliche Sicht der Welt und degradiert Dr. Krokowski (Andreas Niedermeier) zum tölpelhaften Lakaien. Christina Matschoss versetzt als russische Lebedame Chauchat die Männerwelt in Wallung. Sie genießt deren erotische Erregtheit, ist aber letztendlich doch dem Charisma ihres Ehemannes (Matthias Lettner), verfallen, mit dem sie nach Verlassen des Zauberbergs wieder auftaucht.

Dazwischen oder simultan ist der Alltag der Patienten als Performance präsent. Sie verwandeln sich in Leintücher gehüllt in lebende Leichname,  stehen Spalier zum Fiebermessen, husten im Chor, beschwören spiritistisch Geister, verwandeln sich während der Fastnacht in lüsterne Schweinchen, der Hofrat als Wolf gierig im Hintergrund, wissend, dass er Madame Chauchat erobert. Der erotische Spuk ist schnell vorüber. Die Patienten krümmen sich vor Husten auf dem Boden, wo noch die Konfetti glitzern.

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©Uli Scharrer

Ganz subtil oszillieren die Szenen zwischen Kabarett, Slapstick, Farce, Melancholie und Agonie. Dazu macht das Kurorchester (Andreas Hirth, Martina Mühlpointner, Linda Nolte) zwischen Folkore und abgründigen Tonalitäten die makabren Seelenzustände hinter der skurrilen Oberfläche hörbar. Das ist im Gegensatz zum Roman rundherum kurzweilig, sinnlich, schafft Raum für kritische Distanz.