München -Deutsche Erstaufführung von Lot Vekemans‘ Stück „Niemand wartet auf dich“ im Marstalltheater

"Niemand wartet auf dich" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Adrienne Meister

Als  85-jährige Jantje verkörpert Juliane Köhler sehr gekonnt eine schlichte, aber sehr gepflegte, alte Dame, die für die Eigenverantwortlichkeit im eigenen kleinen Umfeld kämpft. Ein Hänger, deutlich hörbar die Souffleuse,  oder bewusst als Zeichen des hohen Alters bleibt offen. Im Kopf ist diese  alte Dame trotzdem topfit. Sie erinnert sich noch an die Nachkriegszeit und leidet unter dem Zeitgeist, in der die Quantität der Waren den Blick auf deren Wert  vergessen lässt und die zunehmende Konsumhaltung das Umfeld immer stärker vermüllt. Als Jantje auf das Buch „Niemand wartet auf dich“ stößt, wird ihr klar. „Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich“. Sie weiß um die Beschränktheit ihres Handelns, kann nicht einmal bei Jugendlichen Verhaltensänderungen bewirken, geschweige bei Krieg und Katastrophen, die sie Gott unterstellt. Spenden lehnt sie als modernen Ablasshandel ab. Aber statt sich zu ärgern, kann sie selbst durchaus etwas ändern, in dem sie den Müll rund um das Seniorenheim sammelt.

Beim Umschinken verwandelt sich Juliane Köhler in eine attraktive Politikerin. Wegen der verlorenen Wahl will sie ihr politisches Mandat als Parteivorsitzende zurückgeben und verkörpert damit die zweite Stufe, Eigenverantwortlichkeit für andere."Niemand wartet auf dich" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

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Sie probt vor dem Spiegel die ersten Sätze ihrer öffentlichen Erklärung, bei der sich die flotte „Frau mit einer Mission“ ihrer Blind- und Taubheit bewusst wird. Viel zu oft hat sie sich von Dingen mitreißen lassen, wurde dabei zum Spielball von Interessengruppen. Juliane Köhler durchbricht die professionelle Glätte einer Politikern, zeigt sie in ihrer Verletzlichkeit und Schuld und zitiert aus einem Buch als Resümee: „Es kommt nicht auf den Kritiker an. Der Ruhm gehört dem, der in der Arena steht und versucht das beste zu tun und im Scheitern den wahren Mut zeigt.“ 

Für die dritte Ebene, Eigenverantwortlichkeit für die Welt, nimmt Lot Vekemans die Schauspielerin, die das Stück spielt, als Projektionsfläche.

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Juliane Köhler kann letztendlich über ihre eigene Sinnsuche laut nachdenken, über die Verbundenheit mit dem Publikum, über Schlafstörungen infolge der hohen Erwartungshaltungen an sich selbst, wie man sich konstruktiv in die Welt einbringen kann, wie man nicht, wie es in einem Buch heißt, von einem „magnetischen Nordpol angezogen wird“, sondern wie man ihn überhaupt finden und verschieben kann. Die Sicht auf die Welt hat sich verändert. Nicht Gott ist verantwortlich für Kriege und Katastrophen, sondern der Mensch.

Der Stück ist zwar gut strukturiert, lässt sich leicht dramatisieren, kommt als Live-Stream durch die Nahaufnahmen und durch Juliane Köhlers subtiles Spiel gut zur Wirkung, plädiert für eigenverantwortliches Handeln, das man nicht oft genug einfordern kann.