©Volkstheater München, Foto: Arno Declair
Im Chor gesprochen gewinnen John Steinbecks Sätze die Wucht wie die der Erinnyen im antiken Theater, optisch verstärkt durch die atmosphärischen Bühnenbilder, statt fruchtbarer Erde im Kreisrund eine Dünenlandschaft, Staub in der Luft, hochschießender Mais, der im selben Moment vertrocknet. „Früchte des Zorns“ (1939), John Steinbecks letzter Roman seiner „Dust-Bowl-Trilologie“, gewinnt…
unter der Regie von Max Lindemann eine berührende Aktualität. In der Ausbeutung der US-amerikanischen Farmer während der „Großen Depression“ spiegeln sich die globalen Repressionen von heute. Auslöser war schon damals der Mensch, indem er die Steppengebiete des Mittelwestens mit unsicherer Regenlage in Agrarland verwandelte. Durch die Trockenheit entwickelten sich Staubstürme, die die Ernte und damit die Lebensgrundlage der Farmer vernichteten. Sie konnten die Pacht nicht mehr bezahlen und wurden vertrieben. Hunderttausende machten sich auf den Weg nach Kalifornien, dem gelobten Land. An der Familie Joad zeigt Steinbeck, wie tüchtige, loyale Menschen als Wanderarbeiter schuldlos verelenden, wie man ihnen die Dumping-Löhne unter dem Existenzminimum nochmals kürzt und sie durch Hunger und Fremdenhass zermürbt werden. Der Roman löste durch Steinbecks Sozialkritik einen Skandal aus, später bekam er dafür den Pulitzerpreis und 1962 den Literaturnobelpreis.
Max Lindemann macht aus dem 500-seitigen Roman, für die Bühne von Johannes Nölting bearbeitet, in einer Fassung von Anouk Kesou, ein 3-stündiges hochspannendes Theaterstück in epischer Manier a la Brecht zwischen erzählerischer Distanz und ausgestellten Spielszenen, wobei trotz permanenter bühnentechnischer Desillusionierung und Aus-der-Rolle-Tretens mit Blick bis in die Maske durch die schauspielerische Intensität das Leid der Menschen spürbar wird. Sieht man von der unglücklichen Kostümierung der Großmutter mit Riesenschürze über den Kopf als bucklige Alte ab, wirkt das alles sehr stimmig. Nicht die Rollenidentifikation steht im Vordergrund, sondern die klare Analyse der ausbeuterischen Interessen einiger weniger auf Kosten der breiten Bevölkerung.
©Volkstheater München, Foto: Arno Declair
Die Erzählpassagen treiben die Handlung voran und sorgen dafür, dass Steinbecks epischer Originalton hörbar wird. Die Spielszenen, die sich teilweise aus Schattenspielen herauskristallisieren, fokussieren die markanten Phasen der Verelendung. Nach der Flucht aus der Dust Bowl ist die Joad-Family mit Ex-Prediger Casy on the road auf einem uralten Lkw, an dem die monotone Landschaft auf der halbrunden Panorama-Projektionsfläche dahinter wie zu Anfangszeiten des Films vorbeifliegt und die End- und Hoffnungslosigkeit der Reise vermittelt, die schließlich in einem Flüchtlingszeltlager endet, wo Regenmassen alles überschwemmen. Die Ausbeutung wird noch krasser angesichts der vielen Arbeitssuchenden. Der amerikanische Traum vom schönen Leben wird zum Alptraum.
Die Inszenierung bringt Steinbecks Analyse der rücksichtslosen Ausbeutung auf den Punkt. Wer rebelliert, wird kriminalisiert. „Man ist gerade so frei, wie man Geld hat zu bezahlen.“ Nur durch Solidarisierung können sich Ausgebeutete wehren, wobei die Familie Joad als Streikbrecher zwischen die Fronten gerät, die „Früchte des Zorns“ in Gewalt und Totschlag umschlagen und der Familienzusammenhalt verloren geht. Selbst die Mutter, eine Festung der Mitmenschlichkeit, die das wenige mit denen, die noch weniger haben, teilt, verzagt. Das von ihr immer wieder visonierte „Wir statt ich“ bleibt final wie im Roman nur ein blasser Hoffnungsschimmer, als die larmoyante und egozentrische Schwiegertochter nach der Totgeburt ihres ersten Kindes, einem fast verhungerten Fremden mit ihrer Muttermilch das Leben rettet. „Wir ändern uns ein wenig und leben weiter.“ Doch unter welchen Bedingungen? Betroffenheit breitet sich aus. Dann setzt erst der Applaus für diese gelungene Inszenierung ein.
Künstlerisches Team: Max Lindemann (Regie), Marlene Lockemann (Bühne), Eleonore Carrière (Kostüme), Sonja Deffner (Musik), David Jäkel (Beleuchtung), Anouk Kesou (Dramaturgie)
Mit Max Poerting (Tom Joad), Lorenz Hochhuth (Jim Casy), Lukas Darnstädt (Vater Joad), Anne Stein (Mutter Joad), Henriette Nagel (Großmutter Joad), Julian Gutmann (Al Joad), Alexandros Koutsoulis (John Joad), Ruth Bohsung (Rose Joad), Kjell Brutscheidt (Connie Rivers)