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München „Andersens Erzählungen“ außergewöhnlich vielschichtig als Musiktheater im Residenztheater inszeniert

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München „Andersens Erzählungen“ außergewöhnlich vielschichtig als Musiktheater im Residenztheater inszeniert

©Residenztheater München, Foto: Sandra Then

„Hör doch zu!“, man Andersen, der in einer alten Kutsche sitzt und seiner Märchenfigur, dem Mädchen mit den Streichhölzern seine Geschichte von der „Kleinen Meerjungfrau erzählt. Die Kutsche taucht ab…

auf den Meeresgrund, wo bunte Fische, eine Medusa und die Nymphen herumschweben. Mit diesem nostalgisch poetischen Vorspann beginnen „Andersen Erzählungen“, ein außergewöhnliches Theaterprojekt für Jung und Alt.

Regisseur Philipp Stölzl begnügt sich nicht mit der Wiedergabe von einem Andersen-Märchen. Zusammen mit Librettist Jan Dvořák schrieb er einen Text, in dem „Die kleine  Meerjungfrau“ flankiert von anderen Märchenfiguren mit Elementen von Andersens Biografie verschmilzt und das Schicksal der kleinen Meerjungfrau in ihrer Andersartigkeit seine homosexuelle Neigung spiegelt. Jherek Bischoff komponierte dazu eine subtil atmosphärische Musik für Violine, Cello, Kontrabass, Klarinette und Schlagzeug). Als Kooperation mit dem Theater Basel 2019 uraufgeführt sind „Andersens Erzählungen“ seit der Premiere vor einem Jahr ein Renner im Residenztheater.

Sehr subtil, in nahtlosen Übergängen chargiert die Realität großbürgerlicher Biedermeierwelt mit grotesken Märchenwelten, dramaturgisch sehr nah an Andersens (18051874) Biografie entlang. Arm, abseits in Odense auf der Insel Fünen aufgewachsen entfloh er mit 15 Jahren nach Kopenhagen, um ein Bühnenstar zu werden. Nach vielen Ablehnungen erkannte Jonas Collin (1776-1861), ein dänischer Beamter und Mentor,  Andersens Talent, wegen seiner Optik wie ein „lebender Haken“ zwar nicht für die Bühne geeignet, aber, wie sich später herausstellte, für die Literatur. Collin sorgte dafür, dass Andersen eine gute Ausbildung und Zugang zur höheren Gesellschaft bekam. Egal wo Andersen auftauchte, er zog die Menschen durch seine Erzählungen in seinen Bann. 

Hier setzt Hölzl dramaturgisch an. Aus der Perspektive des Märchenerzählers kristallisiert sich Andersens großes Lebensproblem heraus, das er durch seine Märchen, insbesondere durch „Die kleine Meerjungfrau“ sublimiert. „Das Märchen meines Lebens“, wie er seine erste Autobiografie titelte, stimmt zwar bezüglich seiner Verwandlung vom hässlichen Entlein zum schönen, bewunderten Schwan, aber seine homosexuelle Neigung konnte er nie ausleben. 

Das wird deutlich, als Andersen, biografisch verbürgt, nicht zur Hochzeit von Edvard Collin, dem Sohn seines Mentors, eingeladen wird und in dieser Zeit mit seinem Märchen von der „Kleinen Meerjungfrau“ beginnt. Andersen reiste trotzdem an, lässt sich nicht abwimmeln, bezirzt die zauberhafte Braut mit seinem neuen Märchen, die sich dabei in ihn verliebt, und konfrontiert den Bräutigam in einer berührenden Szene mit seiner nicht nachlassenden Liebe, die dieser kurz erwidert. Just in dem Augenblick kreuzt die Braut auf und erkennt schlagartig „Ich habe eine Liebe gesehen, aber es war nicht meine“.

Theaterkritik von Stölzls "Andersens Erzählungen" im Münchner Residenztheater präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Residenztheater München, Foto: Sandra Then

Es ist der markantester Satz, gleichzeitig Resümee des Abends. Die Braut erkennt die Tiefe der Liebe zwischen den beiden Männern, aber es sollte noch lange dauern, bis sie gesellschaftlich akzeptiert wurde. 

Aus der Mixtur von Realität und Märchen, Songs, Arien Musik, Varieté und Musical gelingt ein vielschichtig schimmerndes Gesamtkunstwerk, das gleichsam Andersens Leben und das biedermeierliche Ehekonzept beleuchtet. „Die Hochzeitsnacht war entsetzlich, die Flitterwochen noch entsetzlicher. Dann ging es einigermaßen“, resümiert die zugeknöpfte Schwiegermutter, die sich damit arrangiert hat, dass junge mittellose Mädchen sich durch die Heirat sozial absichern. Die Männer saufen sich beim Junggesellenabend zu und führen sich ansonsten wie autoritäre Tyrannen auf. Andersen ist anders und versteckt sich in seiner Märchenwelt, wo Andersartige durchaus ihren Frieden finden. Durch seine literarischen Camouflagen erreichte Andersen ein weltweites Publikum, doch erst durch Stölzls Inszenierung werden die symbolische Metaebenen dahinter bewusst. 

Vom künstlerischen Team und den Schauspielerinnen wunderbar umgesetzt eröffnen sich durch magischen Theaterwelten für Jung und Alt neue Horizonte, großartig vom künstlerischen Team und dem Ensemble umgesetzt. Moritz Treuenfels spielt Andersen als Ritter von der traurigen Gestalt mit verquerer Haltung, expressiver Gestik und liebeswürdigem Charme. Linda Blümchen agiert als Braut wie eine allerliebste Fee. Thomas Lette lässt hinter der bürgerlichen Fassade die unterdrückten homosexuellen Gefühle des Bräutigams aufleuchten und verwandelt sich zwischendurch in eine Meerhexe. Isabel Antonia Höckel tanzt und singt sich als Meerhexe in die Herzen des Publikums. 

Künstlerisches Team: Philipp Stölzl (Inszenierung und Bühne) Stephen Delaney (Musikalische Leitung), Heike Vollmer (Bühne), Kathi Maurer (Kostüme), Sol Bilbao Lucuix (Choreografie), Gerrit Jurda (Licht), Julia Fahle, Bettina Fischer, Johanna Mangold, Almut Wagner (Dramaturgie)  

Mit: Moritz Treuenfels, Thomas Lette, Oliver Stokowski, Linda Blümchen, Cathrin Störmer, Isabel Antonia Höckel, Laura Richter Fee Suzanne Ruiter

Musik: Mario Korunic, Doren Dinglinger (Violinen), Eugen Bazijan (Cello), Giorgi Makhosvili (Kontrabass), Heinz Friedl (Klarinette), Anno Kesting (Schlagwerk)