©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
Eine farblich chargierende Wand mit einem schwarzen Rechteck als Tür genügt, um Ray Bradburys dystopischen Roman von 1953 derart packend auf die Bühne zu bringen, dass man gespannt von der ersten bis zur letzten Minute dem Geschehen folgt. Die Parallelen zur Gegenwart sind verblüffend…
Das Volk wird mit Fernsehbildern, Drogen und Sport „verblödet“, die an der Macht führen Krieg. Das Lesen von Büchern ist verboten, denn „jedes Buch ist wie ein geladenes Gewehr.“ Die Feuerwehrmänner sorgen dafür, dass jedes Haus, in dem Bücher gefunden werden, abgefackelt wird, woraus sich der Titel erklärt. Auf der Fahrenheit-Skala, die in den USA verwendet wird, ist 451 die Temperatur, bei der Papier entflammt.
Markus Bartl und Philipp Kiefer machen aus dem Roman, der 1966 von Truffaut verfilmte wurde, ein raffiniert stilisiertes frontales Laborspiel zwischen epischer Erzählung und simultanen Spielsequenzen, mit frozen Scenes, explosiv atmosphärischen Projektionen, farbsymbolischen Klamotten und aufgemalten grellroten Joker-Mündern, die die Welt als Panoptikum in psychotischer Endzeitstimmung signalisieren. Die Flammen lodern bühnenweit. Kampfjets düsen diagonal in die Ferne und der Sound intensiviert sich über den Köpfen des Publikums vom psychischen Kriegsgeschehen zum militärischen.
Sieben Feuerwehrmänner angeführt von Captain Beatty, von Katharina Elisabeth Kram mit brutaler Eloquenz und körperlicher Direktheit ins Szene gesetzt, formieren sich als unüberwindbare Mauer und skandieren ihre Parolen. Minimal zeitversetzt wird ihre sich klanglich überschlagende ordnungshütende Wucht und Omnipräsenz spürbar. Einer von ihnen, Guy Montag schert aus, als er die 17-jährige lesende Clarisse kennenlernt. Larissa Sophia Farr im gelben Kleid und roter Wollmütze eröffnet ihm durch ihre poetische Leichtigkeit eine neue Perspektiven auf das Leben.
Mit der Aufteilung Montags als auktorialer Erzähler und real agierender Spieler gewinnt die Inszenierung eine zusätzlich psychologische Dimension. Benedikt Schulz‘ smarte Stimme bringt den Sprachduktus des Romans und Montags sensible Seele ein, Stefan Voglhuber als Alter Ego die brachiale Seite des systemgetreuen Feuerwehrmannes. Montag beginnt bei den Einsätzen Bücher zu retten und zu lesen, wodurch er einen ganz neuen Blick auf das System und auf seine fernseh- und konsumsüchtige Frau Mildred bekommt. Aus kritischer Distanz wird deren Treffen durch sich ständig wiederholende Statements ihrer drei unterbelichteten Freundinnen zur bitterbösen Farce, in der sich die Lächerlichkeit heutigen Schönheitskults spiegelt, mit eine der besten Szenen.
Tabea Günther verwandelt diese Milred im goldenen Overall zum Inbegriff einer Egozentrikerin, deren Leben nur von Optik und Geld bestimmt ist. Der Gegenpol ist Literaturprofessor Faber, von dem Montag lernen will, wie er das, was er liest, verstehen und einordnen soll. Antonia Reidel im braunen Hosenanzug verkörpert die rationale Reflexion des intellektuellen Widerstands. Faber ist durchaus bewusst, dass er durch mangelnde Aktionsbereitschaft in der Vergangenheit Mitschuld an der gegenwärtigen Situation auf sich geladen hat, wodurch neben dem Aspekt der Bücherverbrennung der Bezug zum Nazi-Deutschland noch deutlicher wird. Die Zuschauerreihen umkreisend leitet Faber Montag über Ohrmikrofone an, was er zu tun hat, um die Bücher zu retten. Er verpatzt es durch seine Spontanität. Seine Frau denunziert ihn, was seine Liquidation zur Folge hat. Doch durch den ausbrechenden Krieg bekommt er eine neue Chance. Die Analogien zur Gegenwart sind frappierend. Der Ausblick ist ambivalent. „Das Ende ist ein Anfang“. Ob nur zirkulare Wiederholung oder mit neuen Perspektiven? Das ist dem Denken des Publikums überlassen.
„Fahrenheit 451“ bleibt auf jeden Fall durch die kraftvoll, grotesk pointierte Inszenierung nachhaltig im Gedächtnis.