©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
Frauen zwischen Glamour und Knast, mit dieser Kombination kreierten John Kander mit jazziger Musik,…
Fred Ebb mit frivolem Liedtext und Bob Fosse mit seiner abgefahrenen Handlung 1975 ein Erfolgsmusical mit 936 Vorstellungen. Die Revival-Produktion von 1997 schaffte den Sprung nach Europa. Das Gangstermilieu der 1920er Jahre, in dem die Story spielt, hat immer noch großen Unterhaltungswert und beruht sogar auf wahren kriminalistischen Verbrechen, wonach Reporterin Maurine Dallas Watkins ihr Theaterstück „Chicago“ (1926) schrieb, das die Basis für das gleichnamige Musical bildet.
Stefan Tilch beweist einmal mehr seine Leidenschaft für Musical und präsentiert „Chicago“ im Hochglanzformat im bewährten Team mit Charles Cusick Smith und Philip Ronald Daniels als Ausstatter und Sunny Prasch als Choreografin. Über eine steile, Revuetreppe und Lichterketten ist ein Amüsierpalast fast immer präsent, genauso wie die darum positionierte Jazzband von Basil H. E. Coleman. Bei Bedarf verwandeln einschwebende braune Gitterstäbe die Glamourkulisse in düstere Gefängnisatmosphäre.
Im Frauentrakt des berühmten Cool County Gefängnisses sitzen die Mörderinnen ein. Velma Kelly ist der Star, Liebling von Gefängniswärterin Mama Morton, die über die nötigen Beziehungen zur Außenwelt verfügt. Das ändert sich als Roxy auftaucht, die ihren Liebhaber ermordet hat. Sie wirbt Velma nicht nur den Anwalt ab, sondern klaut auch ihre Ideen, wird über eine klug arrangierte Mitleidsstory Liebling der Presse und kommt früher aus dem Knast als Velma. Beide nicht mehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit müssen sich ihre Brötchen im Amüsierpalast verdienen und wirken plötzlich etwas nostalgisch. Nichtsdestoweniger endet „Chicago“ mit einem fröhlichen Happyend.
Mit 24 Liedern, 24 Mal Szenenapplaus wirkt „Chicago“ durch Musik und Tanz. Tänzerisch sehr schmissig einstudiert, die Musik sehr jazzig mit herrlich schrägen Akzenten, die Songs mitunter sehr ironisch führt Conferencier Stefan Voglhuber galant im Spotlight durch die sexy „Chicago“-Show. Es glitzert optisch, röhrt stimmlich, groovt lautstark und wirkt dadurch gerade in ruhigeren Momenten spannender.
Mit Musicalprofi Nadine Germann wird jeder Song von Velma zum großen Auftritt. Marije Louise Maliepaard ist als Roxy eine wunderbare Barbiepuppe, die raffiniert zwischen Naivität und rigoroser Selbstverwirklichung jongliert. Astrid Vosberg spielt die Gefängniswärterin mit dem ausbeuterischen Charme einer Puffmutter und der Gelassenheit lebenslanger Erfahrung. Stefan Merten gibt einen vortrefflich smarten, sehr agilen und wendigen Anwalt ab. In diesem narzisstischen Umfeld gelingt es Jochen Decker als Roxys hilflos allen Manipulationen ausgesetzter Ehemann eine zutiefst menschliche Seite einzubringen. Sein ironischer Song „Mr. Cellophane“ ist das absolute Highlight des Abends.
Künstlerisches Team:Stefan Tilch (Inszenierung), Basil H. E. Coleman (Musikalische Leitung), Charles Cusick Smith und Philip Ronald Daniels (Ausstattung), Sunny Prasch (Choreografie), Dana Dessau (Dramaturgie)
Mit: Conferencier Stefan Voglhuber, Nadine Germann, Marije Louise Maliepaard, Jochen Decker, Astrid Vosberg, Stefan Merten u.a.