©Landshuter Kammerspiele, Florian Heine
David Mamet beherrscht die Kunst aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen in argumentative Theaterstücke zu verwandeln. In „Oleanna“ (1992), ein Jahr später von ihm verfilmt, wendet sich Carol, eine zielstrebige Studentin, an ihren Collage-Professor John, weil sie weder sein Buch noch die Termini technici des wissenschaftlichen Vokabulars versteht. Das schüchterne Mädchen wird im Gespräch selbstbewusster und fordernder. Der Professor schlägt vor, dass er ihr, wenn sie sich öfter treffen würden, alles nochmals erklären könne, er sich dann über die Regularien hinwegsetzen würde, um ihre Arbeit mit sehr gut zu bewerten. Carol geht nicht auf den Vorschlag ein, reagiert stattdessen mit einer Anklage wegen sexueller Zudringlichkeit mit lebenszerstörenden Konsequenzen für den Professor.
Die Qualität von Salamons Inszenierung liegt darin, dass sie auf eine subtil chargierende Gratwanderung fokussiert, in der die Sympathie zwischen Carol und John ständig hin und her springt, was die beiden SchauspielerInnen unter ihrer exakten Personenregie bestens vermitteln. Stefan Lehnen zeichnet den Professor mit jovialer Lässigkeit. Man nimmt ihm durchaus das Engagement für seine StudentInnen ab. Die sexuellen Anzüglichkeiten wirken eher wie väterliche Beschützungsgesten, während Nele Christophs Carol, die sich wegen der Sprachbarrieren so dumm fühlt, in ihrer modisch erotischen Optik durchaus Raffinesse beweist. Wie eine moderne Lolita wirkt sie, wenn sie ganz gezielt das Gummiband aus den Haaren löst und ihre weibliche Wirkung in den Konturen verwischenden Spiegelfolien überprüft, während auf den Monitoren Männer auf verführerische Dekolletés von berühmten Sängerinnen starren, sich Liebespaare anstrahlen, „Blue Velvet“ die Atmosphäre erotisch aufheizt. Der Professor parliert über die Schikanen der Bildungssysteme, das er selbst auch durchlitten hat, positioniert sich als Helfer, ist im Grunde, wie die ständigen Anrufe seiner Frau offerieren, mehr mit dem Kauf eines schönen Eigenheims beschäftigt, das er sich infolge seiner zu erwartenden lebenslangen Professur leisten kann und schon als Modell präsent ist. Carol will nicht minder die Bildungshürden nehmen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, wie es scheint, und sieht in der Situation die Chance, die Machtverhältnisse umzudrehen. In einer eingeschobenen, packend satirisch gespielten Rotkäppchen-Parabel kommt John auf den Hund.
©Landshuter Kammerspiele, Florian Heine
Bühnenarbeiter tauschen bereits die Bürostühle gegen zwei desolate Clubsessel. Wie ein Penner sitzt der Professor da, als Carol, jetzt ganz leger gekleidet, wie ein kleines Mädchen kommt, um ihm einen Deal anzubieten. Der Wortwechsel steigert sich zu einem Gefecht über Sexismus, Machtmissbrauch, Normenüberschreitung und den Zwang, die Dinge so zu sehen, wie er sie sieht. John rastet aus, wird handgreiflich, Carol wehrt ihn in embryonaler Haltung ab. Ein Täter und ein Opfer? Genau diese Simplizität verweigert die Inszenierung.
Künstlerische Leitung: Carlotta Salamon (Textfassung, Regie), Lea Sprenger, Ingrid Hartung (Regieassistenz), Elizaweta Veprinskaja (Bühne, Kostüme), Michele Lupi (Licht), Ronald Schmidt, Leander Griwodz (Ton, Video), Carola Feddersen (Dramaturgische Beratung)
Besetzung: Stefan Lehnen (Professor John), Nele Christoph (Studentin Carol)