©Michaela Schabel
Eine einzige Achterbahn von verpassten und verpatzten Gelegenheiten. In der Schule werden sie bestraft, weil sie im Unterricht keine Zettelchen schreiben dürfen, im Alltag durch Internate getrennt, als sie sich zu nahe kommen. Der Briefkontakt bleibt. Doch wenn sie sich treffen, sind die gegenseitigen Erwartungshaltungen zu hoch, will es sexuell nicht funken. Er ist für sie zu brav, zu gehorsam, zu zielstrebig, sie bleibt für ihn die Traumfrau, auch wenn sie seine Briefe ignoriert. Die Lebenswege driften auseinander. Er studiert, macht Karriere als Jurist und Politiker. Sie wird eine bekannte Künstlerin mit leichtlebigem Ruf. Beide tragen weiß, heiraten aber andere Partner, schwärmen in den regelmäßigen Weihnachtsgrüßen von ihrem Leben, doch hinter den Fassaden sieht es anders aus. Als sie ihre Liebe endlich körperlich erleben, ist es zu spät. Als künftiger Senator kann er sich keine Affäre mit einer Alkoholikerin leisten.
Autor A. R. Gurney gelingt mit „Love-Letters“ ein fröhlich-melancholisches, sehr spannungsreiches Lebenspanorama, das Joachim Vollrath und Katharina Elisabeth Kram unter der Regie von Wolfgang Maria Bauer sehr subtil und authentisch umzusetzen. Mit spielerischer Leichtigkeit vermitteln sie kindliche und pubertäre Trotzphasen, hoffnungsvolle junge Persönlichkeiten, die nach ihrer genetischen und sozialen Determinierung tatsächlich nicht zusammenpassen, so das Resümee aus den „Love Letters“. Soziale Verantwortung ist wichtiger als egozentrische Bedürfnisse. Doch der Zauber dieser Jugendliebe bleibt über den Tod hinaus.
Zwei kleine Bühnen, dazwischen die zerknüllten Liebesbriefe nur noch Müll, genügen die unterschiedlichen Lebensphasen in Szene zu setzen, die Frank Labus als stiller Postbote, ein origineller Regieeinfall im 2-Personenstück, verbindet. Dass er zwischendurch vermummt wie ein Henker als Vergewaltiger agiert, sichtbar an den roten Blutspuren auf ihrem weißen Kleid, ist allerdings des Dramas zu viel. Katharina Elisabeth Kram weiß Aufstieg und Fall einer hübschen Tochter aus reichem Hause schauspielerisch auch ohne derartige aufgepeppte Aktionen auszuloten.
Stück und Inszenierung passen bestens zur Corona-Krise. Wo kein menschlicher Kontakt stattfindet, bleiben menschliche Beziehungen in Erwartungshaltungen stecken.
©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai
Das Social Distancing wurde nicht nur als Thema des Stücks auf der Bühne, sondern auch auf dem Rasen vorbildlich mit weißen Kreisen für die Besuchergruppen realisiert, was man auch als Denkanstoß interpretieren könnte, die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen des kulturellen Lebens und Erlebens im Vergleich zu den erlaubten Zuständen in ökonomischen Prozessen zu reflektieren.
Michaela Schabel