©Peter Litvai
Oberdorfs Faust zielt mit Julian Ricker in der Hauptrolle von Anfang auf Jugend, auf die existentiellen Krisen im Studium, die Problematik der richtigen Partnerwahl im großen Angebot der Liebe. In einer riesigen Liveprojektion hinter den Gitterstäben deklamiert Ricker in Großaufnahme verzweifelt Goethes berühmten Monolog über die intellektuelle Erkenntniskrise, „dass wir nichts wissen können … Da steh ich nun ich armer Tohr /Und bin so klug als wie zuvor“. Er beschwört den Erdgeist, mit Ella Schulz, ein transparentes Schleierwesen, das mit durchdringender Stimme dagegen hält: „Du gleichst dem Geist den du begreiffst. Nicht mir!“ Eine kurze Erscheinung, mehr nicht. Dagegen ist Mephisto, mit Ursula Erb eine langhaarige Blondine im langen roten Mantel eine souveräne Domina in lässiger Haltung omnipräsent. Sie wird zum Symbol sinnlich überreizter Ausschweifung, farbsymobilsch verstärkt, wenn erotisches Rot in schräges Lila chargiert.
Mephista führt Faust nicht in Auerbachs dumpfen Bierkeller, sondern in einen queeren Technoclub, in dem die raffinierten Hüllen fallen (Kostüme Katja Salzbrenner) und die Puppen anzüglich im Rhythmus von „Fever“ tanzen (Choreographie Isabella Könsgen), Faust diverse Alkoholika herzaubert und Stichflammen auflodern. Mephista unterbricht das sinnliche Treiben mit einem nostalgischen Chanson und Faust entdeckt sein Gretchen mit langen blonden Zöpfen und rosa Kleidchen, Ironie pur.
©Peter Litvai
Da treffen zwei zusammen, die schon optisch gar nicht zusammenpassen. Mit der Liebe wandelt sich der Sound. Wagner-Dramatik zieht eine zusätzliche parodistische Ebene holden Liebesglückes ein. Eine weitere Motivlinie ist die räumliche Eingrenzung und Einengung unserer Tage. Ein kleiner Kubus, eben noch Studentenbude, fungiert als Gretchens Schlafkammer, dann als Kerker.
Wie gehabt erobert Faust Gretchen mit einem Schmuckkästchen. Marthe, witzig pointiert von Ella Schulz gespielt, rennt Mephista erfolglos hinterdrein. Ein einmaliges verliebtes Umkreisen von Faust und Gretchen, wie poetisch können originelle Abstandsregelungen doch sein, genügt. Schon rotiert im Video die Frucht der Liebe, ein Embryo. Der Shitstorm des sozialen Umfeldes in Plexiglaszylindern als Reaktion auf Gretchen Schwangerschaft kennt kein Erbarmen. Gretchen ist wehrlos. Der Bruder, Julian Niedermeier, in der Sonntagsvorstellung wegen Erkrankung von Peter Oberdorf dargestellt, fesselt Gretchen und die Geschichte endet, wie man es vom „Faust I“ kennt. Friderike Baldin weitet die Figur des unerfahrenen Gretchens Zigaretten rauchend mit tiefer Stimme in ein recht selbstbewusstes, resolutes Mädchen bis zur Attitüde einer selbstherrlichen Influencerin „Ich bin so jung und so schön.“ Sie bekennt ihre Schuld, die Mutter ermordet, das Kind ertränkt zu haben und steigt erhaben ihr Kind in den Armen ohne religiöse Verklärung des „Sie ist gerettet“ wie eine Wagnerianische Heroine die Stufen hinauf in eine andere Welt, während Faust, der egoistische Haben-Wollen-Mensch zusammenbricht.
Mit dieser vielschichtigen, sehr konsequenten Inszenierung beweist Regisseur Peter Oberdorf einmal mehr sein Talent für originelle Inszenierungen.