Landshut – „Geierwally“ mit Barbara Kratz in den Kammerspielen

Theaterkritik "Geierwally" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

 

©Kammerspiele Landshut, Andreas Helle

Dem Vater kann sie nicht mutig genug sein. Ihm zuliebe wagt sie den gefährlichen Aufstieg auf den Berggipfel, um den Jungadler zu holen, und wird wegen des verbundenen Ansehens im Dorf mit einem väterlichen Kuss belohnt, der einzige in ihrem Leben. Doch als weibliche Formen nicht mehr zu übersehen sind, ein Mädchenrock die Lederhose ersetzt, sie die Hochzeit mit dem gut betuchten Vinzenz verweigert, weil sie sich in den feschen Bären-Joseph verliebt hat, wird sie auf das Hochjoch verbannt. Kräftig und mutig, wie sie ist, wehrt sie sich gegen ihr Schicksal und macht alles nur noch schlimmer. Den Vinzenz ein Loch in den Kopf geschlagen, die Scheune des Vaters in Brand gesetzt, um nicht in den Keller gesperrt zu werden, stürzt sie in asoziale Heimatlosigkeit. Ihre große Liebe spielt ihr noch viel übler mit. Zuerst vom Bären-Joseph verhöhnt, nach dem Tod des Vaters als reichste Bäuerin umworben, wird die Ehe mit ihm zur Hölle. Er hurt und säuft sich zu Tode. Zurück bleibt Geierwally als verbitterte Witwe mit einem verpatzten Leben.

Ganz anders als die rührseligen Verfilmungen reduziert Barbara Kratz Geierwally unter der Regie von Diana Anders holzschnittartig, parodistisch ausgestellt auf das Wesentliche des Menschseins. „Die Sehnsucht nach Liebe“, später einfach nur noch die „Sehnsucht nach Menschen“ gegen das Gefühl „ganz allein auf der Welt“ zu sein wird zu Geierwallys Lebensstimmung. Ihr Schicksal zeigt wie ein herzensguter, talentierter Mensch zum Außenseiter und Loser mutiert, der Hoffnung beraubt selbst  im Reichtum die Kurve nicht mehr bekommt, in die groben Verhaltensmuster des Vaters zurückfällt und schließlich als gedemütigte, ins Mark getroffene Kreatur endet. 

Mit dem Geier auf der Schulter bleibt diese Geierwally zumindest im Einklang mit der Natur. Es gelingen beeindruckende Szenen, wenn Geierwally hoch auf der Spitze der Schaukel in das Vogelgefieder gehüllt Fliegen über den Nebenmeer suggeriert. Die Schaukel dient als Wiege, Gebirge, Hochalm, Höhle, Brücke, Tisch und Bett, die Stabilisierungsstangen als Stock, Beil Gewehr. Mit einfachsten Mitteln werden Kampf um Leben und Tod, Glück und Elend lebendig, wobei sich Barbara Kratz selbst ihr Bühnenbild immer neu arrangiert und die Erzählperspektive unterstreicht.

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©Kammerspiele Landshut, Andreas Helle

Einige Kostümrequisiten genügen, die Wucht der Lebensveränderungen selbstironisch, doch mit Herz zu akzentuieren und dabei romantische und eitle Klischees zu karikieren, ein Blumengewinde zur Firmung, ein barocker Haarturm mit einem Stilmix von Schleifchen für die Tanzeinladung vom Bären-Joseph. 

Es ist vor allem der schwarzgrau umrahmte Blick von Barbara Kratz, in dem sich Geierwallys Leben spiegelt, voller Stauen und Erwartung als Kind, begeistert verliebt auf Bergeshöhen, düster als heimatlose Bettlerin, glücklich als Braut und versteinert als Witwe. Je schlimmer das Schicksal mit ihr umgeht, desto gewalttätiger, herrischer wird sie, desto sarkastischer parodiert sie ihr Umfeld, den brutalen Vater, den dämlichen Vincenz, die opportunistischen Dörfler und den verlogenen Bären-Joseph, der ihre Liebe wie ein Kartenhaus einstürzen lässt. In diesem Umfeld hat selbst eine mutige, aufrechte Frau wie die Geierwally ohne Schutz und Mentor keine Chance.

Diesen fesselnden Theaterabend kann man infolge der Pandemiemaßnahmen mit nur 25 zugelassenen Besuchern im kleinen Theater in der nötigen Distanz ganz gelassen erleben.