©Michaela Schabel
Ursula Erb selbst wird regelrecht zum staunenden unbeschwerten Mädchen, das die nationalsozialistische Grausamkeit aus der Geborgenheit einer deutschen Mittelstandsfamilie nur am Rande erlebt. In der sozialen Verantwortung für ihre beiden jüngeren Brüder überaus pflichtbewusst erzogen stellt diese Brunhilde Pomsel keine Fragen. „Gehorchen“ und dabei manchmal „ein bisschen Schwindeln“ ist ihre Devise als Mädchen. Später scheint sie nur noch diszipliniert zu sein und als Ursula Erb als Brunhilde Pomsels Stimme schwierige Wörter bewusst mehrmals ansetzt, wird dieses politische Unwissen akustisch fühlbar, gleichzeitig durch den Tonklang von „vielleicht“ in Frage gestellt. Durch ihren dynamischen Leseduktus und ihre ambivalenten Betonungen hält Ursula Erb die Waagschale zwischen Wahrheit und Verdrängung in der Schwebe.
Schnellschreiberin Brunhilde Pomsel stenografierte sich hinauf in die Oberliga, arbeitete zunächst „morgens für einen Juden, nachmittags bei einem Nazi“, dann beim Reichsrundfunk, ab 1942 als Sekretärin unter Joseph Goebbels im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Sie fühlte sich als kleines Rädchen im Zentrum der Macht und war sich keiner Schuld bewusst, verstand nicht, warum die Russen sie nach Kriegsende zu fünf Jahren KZ Sachsenhausen verurteilten.
In Erinnerung blieb das Schöne, ihr üppiges Gehalt, ihre teuren Kleider, die wohlwollenden menschlichen Beziehungen, die Euphorie und exotischen Eindrücke bei den Olympischen Spielen.
Durch eingespielte Songs aus jener Zeit weicht die leichtlebige Atmosphäre während der Lesung einer latenten Melancholie. Ja, „es muss schon ein Wunder geschehn…“, aber Brunhilde Pomsel war wie die Mehrheit der Deutschen mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt. Sie dachte nicht darüber nach, warum immer mehr Juden im Umfeld nach und nach verschwanden, wie die KZs tatsächlich funktionierten. In der Akte von Sophie Scholl, die ihr Goebbels kurz anvertraute, las sie nicht, weil er es ihr verboten hatte. Selbstmorde im Umfeld berührten sie persönlich ohne politische Reflexionen. Gefragt, was sie im Reichsministerium gemacht habe, kann Brunhilde Pomsel nur sagen „Keine Ahnung mehr Kinder, das ist sechzig Jahre her.“ Umso wichtiger ist es daran zu erinnern, gerade in der derzeitigen politischen Großwetterlage.
©Michaela Schabel
„Ein deutsches Leben“ gelesen von Ursula Erb ist wieder am 1. und 2. Dezember im Salzstadel zu erleben.